Wenn es vor einem Auge plötzlich dunkel wird, während das andere unverändert klar sieht, besteht der dringende Verdacht auf einen Venenverschluss in der Netzhaut (Retina). Leider passiert das gar nicht so selten: Ein Venenverschluss ist nach der diabetischen Retinopathie (Netzhauterkrankung) die häufigste das Sehvermögen bedrohende Gefäßkrankheit des Auges. Die therapeutischen Möglichkeiten beschränkten sich bisher auf Schadensbegrenzung, der dramatische Sehverlust ließ sich nicht rückgängig machen – auch nicht teilweise.
Mit neuen chirurgischen Verfahren wurde nun bei Patienten mit Venenastverschluss und mit Zentralvenenverschluss in vielen Fällen eine deutliche Verbesserung der Sehschärfe (Visus) erreicht – oft können sie sogar wieder lesen, während sie zuvor kaum noch die Hand vor Augen sahen.
Was bei Durchblutungsstörungen der Netzhautgefäße geschieht
Engpässe, wie etwa Verdickungen und Ablagerungen an den Gefäßwänden der Arterien, behindern die Blutzufuhr; an denen der Venen behindern sie den Blutabfluss. Unter den retinalen Gefäßverschlüssen kommen die venösen mit etwa 60 Prozent am häufigsten vor, und zwar als Zentralvenenverschluss oder als Venenastverschluss. Ursache ist meistens ein Bluthochdruck.
Ein Venenverschluss entsteht durch ein Gerinnsel, wobei am Auge ganz besondere Verhältnisse vorliegen, da Arterien und Venen teilweise eng benachbart sind und sich überkreuzen. Der Venenastverschluss ereignet sich meistens an diesen Kreuzungsstellen, beim Zentralvenenverschluss innerhalb des Sehnervs. Die Folge sind weitere Komplikationen: Chronische Wassereinlagerung in der Netzhautmitte (Makulaödem) zerstört die Stelle des schärfsten Sehens und als Reaktion auf die unterbundene Durchblutung der Kapillaren bilden sich neue, aber leider kranke Gefäße (Neovaskularisationen), die so durchlässig oder brüchig sind, dass es aus ihnen in das Auge blutet. Gefäßneubildungen im Kammerwinkel behindern den Kammerwasserabfluss; es entwickelt sich ein Glaukom (Grüner Star).
Ohne Behandlung ist die Prognose bei retinalen Venenverschlüssen meist schlecht. Nach einem Venenastverschluss vermindert sich die Sehschärfe bei etwa der Hälfte der Patienten auf weniger als 0,1 (10 Prozent). Nach einem ischämischen, d.h., eine Blutleere verursachenden Zentralvenenverschluss erleiden sogar 80 Prozent der Patienten diesen drastischen Visusverlust. Praktische Erblindung droht ebenfalls nach einem hämorrhagischen Infarkt der Netzhaut mit starken Blutungen aus geplatzten Gefäßen.
Mit den bisher zur Verfügung stehenden Möglichkeiten - medikamentöse Therapien und Laserbehandlung – konnten nur die sekundären Komplikationen verhindert oder gemildert werden. Eine Visusverbesserung war nur sehr selten damit verbunden und wenn, dann war sie zu geringfügig, um dem Patienten etwa wieder das Lesen zu ermöglichen.
Mit dem Mut der Verzweiflung zu neuen Wegen -
Gewagte Augenoperationen erweisen sich als erfolgreich
Arteriovenöse Dissektion - gute Aussichten nach Venenastverschlüssen
Venenastverschlüsse entstehen häufig durch Thrombosen im Kreuzungsbereich von retinaler Vene und Arterie. An dieser Stelle besteht eine enge Verbindung beider Gefäße, sie teilen sich die äußere Gefäßhülle (Adventitiascheide). Durch sklerotische Veränderungen der Arterie wird die Vene komprimiert. Der entlastende Schnitt, der dieses die beiden Gefäße umgebende Bindegewebe mit einer feinen Lanzette spaltet (Arteriovenöse Dissektion = AVD oder Sheathotomy) und die komprimierte Vene von der darüber liegenden Arterie trennt, behebt praktisch die Ursache des Venenastverschlusses. Allerdings muss diesem Eingriff ein anderer vorausgehen: die Pars-plana-Vitrektomie, die Entfernung des Glaskörpers, der später durch eine spezielle Lösung oder Gas ersetzt wird. Die arteriovenöse Dissektion wird bereits an mehreren Kliniken praktiziert. Eigene Untersuchungen der Augenklinik der Bundesknappschaft Sulzbach zeigten ermutigende Ergebnisse: 60 Prozent von 120 Patienten mit Venenastverschluss, die vor der Operation einen Visus von 0,4 und weniger hatten, erreichten nach der Vitrektomie mit arteriovenöser Dissektion innerhalb von acht Wochen eine Visusverbesserung von zwei Stufen. Bei 28 Prozent der Patienten nahm der Visus sogar um vier und mehr Stufen zu. Die Funktionsverbesserung konnte auch mit der multifokalen Elektroretinographie (ERG) bestätigt werden. Im Mittel konnte die Sehschärfe durch den Eingriff verdoppelt werden. Wichtig ist die Zeit zwischen Verschluss und Operation: Die besten Ergebnisse wurden erzielt, wenn innerhalb von zwei Wochen operiert wurde. Nach drei Monaten sind die Erfolgsaussichten nur noch minimal.
RON – neue Operationsmethode zur Rettung des Sehvermögens
bei Zentralvenenverschluss
RON ist die einfache Abkürzung für ein kompliziertes neues chirurgisches Verfahren, die Radiäre Optikusneurotomie. Sie wird bei einem Zentralvenenverschluss eingesetzt, um den venösen Blutabfluss zu verbessern und damit die Gefäße von dem zerstörerischen Druck zu entlasten. Auch vor dieser Operation erfolgt als erster Schritt eine Pars-plana-Vitrektomie, der Glaskörper muss zunächst entfernt werden. Der Chirurg setzt mit einer einseitig angeschliffenen Lanze am Rande des Sehnervenkopfes an und schafft mit einem radiären Schnitt Platz für eingeengte Gefäße. Insgesamt wird der Stoffaustausch über den Glaskörperraum verbessert, sodass sich das Makulaödem zurückbilden kann. Außerdem bildet sich im Bereich des Einschnitts ein Umgehungskreislauf (Shuntgefäße oder Anastomosen), der für eine Entlastung des Staudrucks in der Vene sorgt und somit für eine Normalisierung der Durchblutungssituation.
Patienten der Augenklinik der Bundesknappschaft Sulzbach erreichten einige Zeit nach Vitrektomie und RON eine deutliche Funktionsverbesserung mit signifikantem Visus-Anstieg. Professor Mester und seine Mitarbeiter können aber auch eine objektive Befundverbesserung bei ihren Patienten nachweisen. Sie messen nach der Operation regelmäßig in festgelegten Abständen mit einem speziell zur Messung der Netzhautdurchblutung entwickelten Gerät, dem Ophthalmodynamometer, den zentralvenösen Abflussdruck. Es besteht aus einem Spiegelkontaktglas, das in einen Haltering mit Drucksensoren integriert ist. Die an der angeschlossenen Messeinheit ablesbaren Ergebnisse zeigten eindeutig, dass mit einer Verminderung des venösen Abflussdrucks immer eine Visusverbesserung verbunden war.
Bei 60 Prozent der operierten Augen entstand ein neuer Umgehungskreislauf mit deutlicher Befund- und Funktionsverbesserung.
Professor Dr. med. Ulrich Mester
Direktor der Augenklinik der Bundesknappschaft
An der Klinik 10
66280 Sulzbach/Saar
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