Pressemitteilung
Medizin/Gesundheit/Augenheilkunde

AAD Pressekonferenz 2006

Walter:

Von der Vision zur Wirklichkeit: Netzhaut-Chips, die das Augenlicht wiederbeleben

Kurzfassung

Für Menschen, die an einer erblich bedingten Netzhautdegeneration leiden, der Retinitis pigmentosa, gab es bisher keine medizinische Hilfe. Ihr Sehvermögen schwindet unaufhaltsam bereits von Jugend an, weil die lichtempfindlichen Sinneszellen (Fotorezeptoren) in der Netzhaut (Retina) absterben. Allein in Deutschland sind 15.000 Menschen an dieser Augenkrankheit erblindet.

Seit 1995 Jahren arbeiten zwei interdisziplinäre Teams von Wissenschaftlern im Auftrag des Bundesforschungsministeriums an der Entwicklung von Netzhautimplantaten (Retina-Implant), die über elektrische Impulse die Funktion der ausgefallenen Netzhautzellen zumindest teilweise ersetzen und den Patienten wieder eine visuelle Orientierung ermöglichen sollen. Heute sind die beiden Forschergruppen dem gemeinsamen Ziel auf getrennten Wegen mit unterschiedlichen Systemen bereits sehr nahe gekommen. Beide stehen kurz vor der klinischen Erprobung. Nachdem die Verträglichkeit der Implantate im lebenden Organismus in jahrelangen Versuchen zweifelsfrei erwiesen ist, konnten jetzt die ersten blinden Patienten im Test Sehwahrnehmungen erleben.

Retina-Implantate - Schrittmacher für die Sehfunktion

Das subretinale Implantat:

Der Mikro-Chip wird unter der Netzhaut eingepflanzt. Zahlreiche winzige Fotodioden wandeln das einfallende Licht in Strom um. Noch ist ihr Wirkungsgrad jedoch zu gering, um mit diesem Licht auszukommen und die Retina ausreichend zu stimulieren. Daher werden in einem aktiven subretinalen Implantat externe Energiequellen eingesetzt.

Das epiretinale Implantat:

Der Mikro-Chip ist auf der inneren Oberfläche der Netzhaut fixiert; die Elektroden stimulieren sie im Bereich der Ganglienzellen. Das Signal stammt aus einem Sehprozessor, der die Daten aus einer in die Brille integrierten Kamera umwandelt. Der Empfänger wiederum steckt in einer gegen die natürliche Augenlinse ausgetauschten Kunstlinse, die Empfangselektronik ist durch ein ultraflexibles Kabel mit der Mikroelektrodenfolie verbunden. Die Energie, die erforderlich ist, damit die Netzhautzellen wieder "feuern“ können, wird gemeinsam mit den Signalen telemetrisch – also ohne Kabelverbindung – an das epiretinale Implantat gesendet.

Die Implantation:

Der Austausch der Augenlinse ist mit der Katarakt-Operation vergleichbar, bei der anstelle der getrübten natürlichen Linse eine Intraokularlinse in den Kapselsack eingesetzt wird. In diesem Fall enthält sie statt der korrigierenden optischen Wirkung den Empfänger. Dann wird der Glaskörper entfernt und das Implantat durch einen kleinen Schnitt in der Hornhaut auf die Kapsel geschoben. Der Teil des Implantats mit der Elektrodenmatrix gelangt durch einen Einschnitt auf der Rückseite der Kapsel in den Glaskörperraum und wird dann mit winzigen Titanstiften auf der Netzhaut fixiert. Als Ersatz für den Glasköper dient eine spezielle Lösung oder Gas.

Sehen mit künstlicher Netzhaut:

An Retinitis pigmentosa erblindete Patienten konnten erstmals als Teilnehmer einer Studie das epiretinale Implantat für kurze Zeit am eigenen Auge erleben. Mit einer Ausnahme hatten alle umschriebene punkt- oder fleckförmige Sehwahrnehmungen im Bereich der Reizelektroden.
Ziel des Projektes ist, mit den Retina-Implantaten Seheindrücke auszulösen, die mit den Wahrnehmungen beim natürlichen Sehen verwandt sind, sodass die zuvor blinden Patienten zumindest das zur Orientierung erforderliche Sehvermögen zurückgewinnen. Noch enthalten die Implantate, die zurzeit zur Verfügung stehen, nur eine begrenzte Zahl von Elektroden. Trotzdem gibt es auch für diese erste Phase eine berechtigte Hoffnung und die basiert auf der Leistungsfähigkeit unseres Gehirns. Es ist in der Lage, beim Ausfall sensorischer Systeme, die bisherige Signalverarbeitung umzuorganisieren und verlorene Funktionen zu kompensieren. Diese neuronale Plastizität hoffen die Forscher, bei der Implantation
der Netzhautprothesen nutzen zu können. Sie sind sich aber auch darüber im Klaren, dass der Wert für den einzelnen Patienten entscheidend davon abhängt, dass er das von dem Implantat bestimmte "andere Sehen“ lernt. Dieses Training wird Geduld und viel Zeit kosten.

Die Retina-Implant-Entwicklung in Deutschland wurde von Beginn an von Selbsthilfegruppen begleitet – insbesondere von ProRetina. Patienten und Forscher saßen an einem Tisch und diskutierten in vertrauensvoller Atmosphäre das Für und Wider dieses Eingriffs, der ja mit der Sehrinde auch das Gehirn beeinflusst. Abgesehen von den Risiken einer so komplizierten Netzhautoperation, stellt sich bei einer Kopplung des Zentralnervensystems mit einer externen Komponente die Frage: Ist damit zumindest theoretisch eine Manipulation des Geistes möglich? Trotz der hohen Akzeptanz der Retina-Implant-Projekte bei den Betroffenen, sollte aus der Sicht der damit betrauten Wissenschaftler, die weitere Entwicklung der Netzhautprothesen von einem gesellschaftlichen Dialog begleitet werden.


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