Pressemitteilung
Medizin/Gesundheit/Augenheilkunde

AAD Pressekonferenz 2004

Kraffel:

Vision von der Entwicklung in der Augenheilkunde aus berufspolitischer Sicht

Während die dynamischen Fortschritte in der Medizin immer bessere, aber auch kostenintensivere Diagnosen und Behandlungsmethoden hervorbringen, schrumpfen die finanziellen Mittel unaufhaltsam. In der Augenheilkunde nimmt die Zahl der älteren Patienten erheblich zu und die der Augenarztpraxen vermindert sich drastisch.

Die Augenheilkunde, wie die gesamte Medizin, entwickelt sich mit zunehmender Rasanz. Einen Eindruck davon vermittelt das Programm der AAD 2004. Ein großer Teil der Vorträge ist wissenschaftlichen Themen und Forschungsprojekten gewidmet und die Resonanz auf das Fortbildungsangebot ist überwältigend: mehr als 2.850 Teilnehmer waren bereits Wochen im Voraus gemeldet.

Neue technische und molekulargenetische Verfahren eröffnen uns einen immer tieferen Einblick in Prozesse, durch die bestimmte, bisher nur unzureichend zu therapierende Krankheiten entstehen. Wer ein Krankheitsgeschehen begreift, hat den Schlüssel zu seiner Behandlung in der Hand. Doch dieser Fortschritt hat seinen Preis. Forschung wird immer teurer und Therapien erst recht. Wir können immer mehr Krankheiten heilen oder zumindest beherrschen, müssen dafür aber auch immer mehr Geld einsetzen. Je mehr Krankheiten wir erforscht haben und kennen, desto mehr Geld muss für die Erforschung der übrig gebliebenen Krankheitsbilder aufgewendet werden. Die gut erreichbaren Äpfel sind gepflückt, jetzt bleiben nur die übrig, die weiter oben hängen.

Fortschritt fordert Finanzierung - gleichzeitig altert die Bevölkerung. Die Rentner leben immer länger, wofür die Ärzte – wohl zu recht - von den Politikern verantwortlich gemacht werden. Die fruchtbaren Generationen setzen in ungenügendem Umfang Kinder in die Welt. Die Jugend wiederum wird durch immer längere Schulbildung einerseits, durch Ausbildungs- und Arbeitsplatzmangel andererseits immer länger an produktiver Arbeit gehindert, was die Leistungsfähigkeit der Sozialkassen weiter vermindert. Die Schere zwischen ihren Einnahmen und Ausgaben klafft immer weiter auseinander.

Zur arbeitenden Bevölkerung gehören auch die Ärzte. Und hier tut sich die nächste Schere auf. Augenheilkunde ist Medizin für die gesamte Bevölkerung. Doch die meisten Augenkrankheiten treffen die Älteren. Prognosen sagen deshalb über die nächsten 25 Jahre eine Zunahme der augenärztlichen Patienten um 40 Prozent voraus. Gleichzeitig werden 20 bis 30 Prozent der Augenärzte aus dem Berufsleben ausscheiden, ohne die Praxis an einen Nachfolger abzugeben.

Welche Auswirkungen diese Entwicklung haben wird, lässt der Rückblick auf die von den „Modernisierungsmaßnahmen im Gesundheitswesen“ provozierten Situation erahnen. Ende 2003 stieg die Zahl der Patienten in den Augenarztpraxen um 20 Prozent – hervorgerufen durch die Gesetzesänderungen bezüglich der Brillen. Obwohl viele niedergelassene Augenärzte – übrigens gegen jede wirtschaftliche Vernunft - ihre Sprechzeiten weitestgehend ausweiteten, stand die augenärztliche Versorgung kurz vor einem Kollaps. In zahlreichen Medienberichten wurde „dieser Zustand“ kritisch kommentiert. Die hier prognostizierten Zahlen lassen ein massives Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage erwarten – nicht nur vorübergehend.

Wie sehen nun die Prognosen für die Zukunft aus?
Es wird zu ausgeprägten Verteilungskämpfen kommen. Die Gesellschaft – und das ist eine Aufgabe der Politiker – muss die Frage beantworten, wie viel Medizin wir dem einzelnen Bürger zur Verfügung stellen. Medizin kostet Geld, und Geld kann nur einmal ausgegeben werden. Wer viel Geld in Forschung und Behandlung stecken will, muss das Geld woanders einsparen. Das heißt dann: auf Autobahnbau, Militäreinsätze am Hindukusch oder Privatflieger für Politiker zu verzichten. Die derzeitigen Debatten um Bürgerversicherung oder Prämienmodelle sind Verschleierungsmanöver, mit denen die zurzeit Verantwortlichen versuchen, ihre Politik über einige Jahre zu retten. Sie laufen ins Leere. Derartige Verteilungsdebatten werden hart werden: Jung gegen Alt, Politiker gegen Bürger, Kranke gegen (noch) Gesunde.
Weil der Umweltminister in Brasilien nicht Linie fliegen wollte, ließ er einen Privatjet der Bundeswehr kommen. Die Aktion wurde abgebrochen, als die Bevölkerung davon erfuhr und Unmut zeigte. Die trotzdem entstandenen Kosten würden es ermöglichen, einen manifest AIDS-Kranken sechs Monate am Leben zu erhalten. Doch wozu, wenn der dann doch sterben muss? Eine ausgesprochen hässliche Frage, doch das ist die Diskussion, die geführt werden wird. Soll man wirklich 50 Millionen Euro für die Erforschung einer Krankheit ausgeben, an der jährlich nur fünf Kinder sterben? Wo ist die Grenze, wer legt sie fest?

Wenn die Solidargemeinschaft eine Behandlung nicht mehr bezahlt, darf der Vermögende sie dann aus eigener Tasche bezahlen? Wenn ja, darf er eine zusätzliche Versicherung gegen dieses Risiko abschließen?
Die ersten Antworten auf diese Fragen hat die Regierung mit ihrer Agenda 2010 gegeben. Die darob einsetzende Diskussion ist bekannt. Ist unser politisches System überhaupt in der Lage, Antworten zu geben? Oder wird es an der Diskussion zerbrechen?

Es wird eine Aufspaltung in drei Ebenen der Medizin geben. Eine Basisversorgung, die solidarisch finanziert wird – sei es über eine private oder eine gesetzliche Versicherung. Sie wird sich überwiegend um die Teile der Gesellschaft kümmern, die als Hoffnungs- oder Leistungsträger gelten, ihnen jedoch trotzdem nur die Leistungen zur Verfügung stellen, mit denen sich mit relativ geringem Finanzaufwand eine Heilung erzielen lässt.
Auf einer zweiten Ebene werden Leistungen geboten werden, die zwar medizinisch notwendig sind, deren Finanzierung jedoch von der Solidargemeinschaft nicht getragen wird. Diese Therapien, Operationen, Rehabilitationsmaßnahmen stehen nur noch dem Teil der Bevölkerung zur Verfügung, der sie sich leisten kann.
Auf der dritten Ebene gibt es die Luxusmedizin - in einem entsprechenden Ambiente.
Hier kann der Patient die gesamte Bandbreite moderner medizinischer Möglichkeiten an Hightech-Diagnose und Therapie beanspruchen – auch die kostspieligsten.

Mehr und mehr Krankheiten werden künftig behandelbar sein, doch einem großen Teil der Bevölkerung bleiben diese Therapien dann verschlossen.

Dr. med. Uwe Kraffel
1. Vorsitzender
Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e.V. (BVA)
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Fax 0211-4303720
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