„Um klar zu sehen, genügt oft ein Wechsel der Blickrichtung (Antoine de Saint-Exupéry)“, aber in jedem Fall braucht man eine klare Hornhaut dazu. Ist sie getrübt, gibt es keine andere Möglichkeit: Sie muss durch das klare Hornhautscheibchen eines Spenders ersetzt werden. Die Hornhautübertragung oder Keratoplastik ist die älteste Transplantation und auch die häufigste. Hornhäute werden heute etwa so oft verpflanzt, wie alle Organspenden zusammen. Allein in Deutschland bekommen etwa 3000 bis 4000 Patienten im Jahr eine Spenderhornhaut.
Die Indikationen zur Keratoplastik sind vielfältig: etwa angeborene Fehlbildungen, Hornhautnarben, die durch Infektionen durch Bakterien, Viren oder Pilze entstanden sind und die Sicht behindern oder auch dichte Eintrübungen der Hornhaut, wie sie z.B. durch Verätzung mit aggressiven Reinigungsmitteln entstehen. Bei solchen Verletzungen sind die Prognosen der Transplantation am schlechtesten, und leider sind davon vor allem Kinder betroffen. Die besten Chancen haben Patienten mit pathologischen Hornhautvorwölbungen (Keratokonus), wenn sie im fortgeschrittenen Stadium ihrer Augenkrankheit auf Hornhautspenden angewiesen sind.
Zu den Besonderheiten der Hornhauttransplantation gehört, dass hierzu keine Organ- sondern nur eine Gewebespende erforderlich ist. So kann die Hornhaut noch bis zu 72 Stunden nach dem Tod des Spenders entnommen werden. Auch das Alter des Verstorbenen spielt keine Rolle. Selbst mit 90 kann man Hornhautspender sein, und auch die meisten Krankheiten bzw. Todesursachen, die Organtransplantationen ausschließen würden, haben keinen Einfluss auf die Vitalität der Hornhaut.
Zwar sind die Chancen, dass die Verpflanzung einer Hornhaut erfolgreich ist, höher als die der meisten Organtransplantationen, doch fast ein Jahrhundert nach der ersten mittelfristig erfolgreichen, perforierenden (alle Schichten umfassenden) Hornhauttransplantation sind Abstoßungsreaktionen immer noch das postoperative Hauptproblem. Obwohl die Hornhaut, da sie keine Blutgefäße hat, besonders günstige Voraussetzungen für die Akzeptanz fremden Gewebes bietet und obwohl nach der Operation mithilfe lokal angewendeter Kortikosteroide die natürlichen Abwehrreaktionen unterdrückt werden können, treten innerhalb der ersten drei Jahre relativ häufig Immunreaktionen auf.
Das geschieht bei etwa 18 Prozent der Patienten mit normalem Risiko - z.B. bei Keratokonus oder Hornhautvernarbungen ohne Gefäßeinsprossung und in bis zu 75 Prozent aller Fälle, wenn - bedingt durch die Ursache der Hornhauttrübung - ein besonders hohes Risiko besteht, beispielsweise bei schwerer Atopie (erblich bedingte Überempfindlichkeit gegen Umweltsubstanzen, die zu Allergien führt), bei okulären Herpesinfektionen, bei Limbusstammzellinsuffizienz und auch, wenn die Keratoplastik zum wiederholten Mal erfolgt.
Eine Möglichkeit zur Verbesserung der Transplantationsprognose bietet das HLA-Matching. Dieser in der Transplantationsmedizin gebräuchliche Begriff bedeutet:
Man sucht für den Empfänger ein Spenderorgan oder -gewebe, das mit seinen persönlichen Gewebemerkmalen möglichst weitgehend übereinstimmt (his match = seinesgleichen, sein Ebenbild).
Die genetische Identität eines jeden Menschen ist auf dem kurzen Arm des Chromosom Nr. 6 lokalisiert. Dort befinden sich die Gene des HLA-Systems (Human Leukocyte Antigen). Diese HLA-Gene sind auf der Oberfläche aller Zellen vorhanden und signalisieren den eigenen Abwehrzellen, ob sie auf körpereigenes oder fremdes Gewebe treffen. So sind die Chancen, dass die Hornhautübertragung langfristig erfolgreich ist, bei HLA-gematchten Transplantaten deutlich besser. HLA-Matching wird als einzige Maßnahme eingesetzt oder bei sehr hohem Risiko mit Immunsuppressiva kombiniert.
Das HLA-System besteht aus der Klasse I und der Klasse II. Die HLA-Klasse I wird von allen kernhaltigen Zellen exprimiert (an der Zelloberfläche ausgebildet), also auch von allen Hornhautzellen, während die HLA-Klasse II von B-Lymphozyten, Makrophagen, antigenpräsentierenden Zellen und aktivierten T-Lymphozyten exprimiert wird. In der Hornhaut sind das z.B. bestimmte Zellen des Epithels, bei Entzündungen jedoch unter Umständen alle Zellen. Auf der spezifischen Abwehr der T- und B-Lymphozyten (weiße Blutkörperchen) beruht hauptsächlich die Abstoßungsreaktion, die das Transplantat gefährdet und die es zu verhindern gilt.
Während der günstige Effekt des HLA-Matching in der Organtransplantation unbestritten ist, liegen zur Hornhauttransplantation noch sehr widersprüchliche Ergebnisse vor. Dafür gibt es hauptsächlich drei Gründe: 1. In multizentrischen Studien haben bis zu 200 Zentren und bis zu 400 Operateure mit sehr unterschiedlichen Operationstechniken teilgenommen. 2. In fast allen Studien wurden Hochrisikopatienten berücksichtigt, bei denen nicht nur ein erhöhtes Risiko für Immunreaktionen bestand. Bei ihnen musste auch aus anderen Gründen damit gerechnet werden, dass die Transplantation nicht erfolgreich sein würde, wie etwa Oberflächenstörungen bei Limbusstammzelleninsuffizienz, Herpesrezidive oder eine postoperative Augeninnendruckerhöhung. 3. In keiner der Studien wurde eine molekulargenetische HLA-Typisierung vorgenommen. Aber nur sie liefert in der HLA-Klasse II reproduzierbare Ergebnisse, wenn das zur Bestimmung erforderliche Spenderblut zusammen mit dem Hornhautgewebe erst bis zu 72 Stunden nach seinem Tod entnommen wird. Diese Erkenntnis führte zur Kontrolle bereits typisierter Transplantate, und die deckte Fehlerraten von bis zu 55 Prozent auf.
Keratoplastik heute: Erfolg wird berechenbar
Es ist noch nicht lange her, dass Hornhautspender praktisch nicht zu typisieren waren. Das ermöglicht erst die Molekulargenetik, und zwar zu fast hundert Prozent auch noch drei Tage nach ihrem Tod. Diese Methode erlaubt die Differenzierung der HLA-Merkmale auf DNA-Ebene. Neue Untersuchungen an den Universitätsaugenkliniken Düsseldorf und Freiburg, deren Ergebnisse zum Teil noch nicht veröffentlicht sind, beweisen: Serologische HLA-Typisierung für die HLA-Klasse I und molekulargenetische HLA-Typisierung für die HLA-Klasse II mit Matching nach den bisherigen Kriterien verbessern deutlich die Prognose bei Normalrisiko-Patienten. Auch für Hochrisiko-Keratoplastiken zeigt sich bei gleichem Vorgehen ein positiver Effekt. Bei diesem Projekt wird jetzt im zweiten Schritt nicht nur molekulargenetisch typisiert, sondern auch auf molekularer Ebene gematcht, um für die Patienten die bestmöglichen Voraussetzungen zu schaffen, damit ihre Hornhauttransplantate auch langfristig klar bleiben und nicht abgestoßen werden.
Trotz der wesentlich besseren Prognosen gibt es noch Vorbehalte gegen das HLA-Matching: Patient und Arzt müssen warten, bis ein passendes Transplantat zur Verfügung steht. Zur Lösung dieses Problems hat die Düsseldorfer Universitätsaugenklinik in Kooperation mit der holländischen Foundation Bio Implant Services/Eurotransplant, Leiden, das Projekt „Wartezeitberechnung“ ins Leben gerufen. Die Grundlagen für diese Berechnung bilden:
Haplotypenfrequenzen in der Bevölkerung (Häufigkeit der HLA-Merkmale), sie sind aus den Knochenmarkspendenregistern gut bekannt,
die in der LIONS Hornhautbank NRW in Düsseldorf täglich eintreffenden Transplantate (im Durchschnitt täglich zwei), die HLA-Typisierungsquote und die Abgaberate von Transplantaten, die durch sehr strenge Qualitätssicherungsregeln bestimmt wird.
Mit dieser völlig neuen, von deutschen Augenärzten entwickelten Methode, kann nun die Wartezeit für ein HLA-gematchtes Transplantat für fast jeden Patienten individuell berechnet werden, und das wiederum erlaubt die ganz individuelle Beratung. Diese weltweit, bisher nur in Düsseldorf und Freiburg genutzte Möglichkeit, gibt es zurzeit allein für die Keratoplastik – für keine andere Transplantation.
Weist ein Patient häufig vorkommende Allelkombinationen auf (Merkmalausprägungen aufgrund eines Gens), ist die Wartezeit selbst für ein Transplantat ohne Mismatch kurz. (Mismatch = fehlende Übereinstimmung im HLA-System zwischen Spender und Empfänger). Er sollte also unbedingt die Vorteile des HLA-Matching nutzen. Liegt hingegen eine seltene Allelkombination vor, kann die Wartezeit auf ein Transplantat ohne Mismatch Jahre, manchmal sogar Jahrzehnte betragen. In einem solchen Fall würde der Augenarzt gemeinsam mit seinem Patienten überlegen, ob auch ein Transplantat mit einem oder mit zwei Mismatches akzeptabel ist, oder ob aus beruflichen und sozialen Gründen sogar ungematcht transplantiert werden sollte. Wenn sich der Patient für diesen Weg entscheidet, muss sehr genau geprüft werden, ob der Mangel des Matching durch eine verstärkte (systemische) Immunsuppression ausgeglichen werden kann.
Wachsende Bereitschaft zur Hornhautspende – kürzere Wartezeiten in Sicht
Je mehr Transplantate entnommen und HLA-typisiert werden können, desto größer ist die Chance für den einzelnen Patienten, innerhalb einer für ihn akzeptablen Zeitspanne ein zu ihm passendes Transplantat mit guten Erfolgsaussichten zu bekommen. Das seit 1997 geltende Transplantationsgesetz hat einen günstigen Rahmen für die Hornhautspende geschaffen. Es verpflichtet durch die Auskunftspflicht Ärzte und Behörden, Transplantationen zu unterstützen, was nun auch die Berücksichtigung der Verstorbenen ermöglicht, die sich noch in den Instituten der Rechtsmedizin befinden. Dadurch konnten die Spenderzahlen der LIONS Hornhautbank in NRW nachhaltig gesteigert werden. Auch die Bereitschaft der Bevölkerung zur Hornhautspende ist seither gewachsen. So stimmen derzeit mehr als 50 Prozent der Angehörigen von Verstorbenen einer Hornhautspende zu, denen die Frage gestellt wird. Aber leider fragen immer noch zu wenige Ärzte um Zustimmung zur Hornhautspende. Mögliche Gründe sind Unwissenheit - etwa darüber, dass ein Hornhauttransplantat bis zu 72 Stunden nach Eintritt des Todes entnommen werden kann, mangelnde Kenntnis über die rechtlichen Hintergründe - und vielleicht denken auch viele ganz einfach nicht daran oder scheuen sich, in dieser Situation mit den Angehörigen über die Möglichkeit zu sprechen, mit der Hornhautspende des Verstorbenen einem anderen Menschen das Sehvermögen wiederzugeben – vielleicht einem, der sein ganzes Leben noch vor sich hat.
Professor Dr. med. Thomas Reinhard
Ärztlicher Direktor der Universitäts-Augenklinik Freiburg
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