Pressemitteilung
Medizin/Gesundheit/Augenheiunde

AAD Pressekonferenz 2018

Prof. Dr. Lutz E. Pillunat:

Was heißt hier „normal“?

Glaukom trotz niedrigen Augeninnendrucks – was ist zu tun?

Wenn von einem Glaukom die Rede ist, wird diese Erkrankung, bei der der Sehnerv nach und nach zerstört wird, immer wieder mit einem zu hohen Augeninnendruck gleichgesetzt. Doch bei sehr vielen Patienten – in Studien wird der Anteil mit bis zu 68,3 Prozent angegeben – nimmt der Sehnerv Schaden, ohne dass der Augeninnendruck auffällig hoch wäre. Umgekehrt gibt es Menschen, bei denen der Augeninnendruck erhöht ist, ohne dass für ein Glaukom typische Veränderungen am Sehnervenkopf erkennbar wären.

Was geschieht beim Glaukom?

Der Sehnerv lässt sich mit einem Datenkabel vergleichen, das das Auge mit dem Gehirn verbindet. Er ist etwa vier Millimeter dick und besteht aus rund einer Million Nervenfasern. Am Sehnervenkopf (Papille) verlässt der Sehnerv das Auge durch eine siebartige knöcherne Struktur, die Lamina cribrosa. Beim Glaukom sterben die Nervenfasern allmählich ab – das geschieht völlig schmerzfrei und es verursacht oft über Jahre hinweg keine Symptome. Bei einer augenärztlichen Untersuchung erlaubt die Spaltlampe einen direkten Blick auf die Papille und so lässt sich ein Glaukom feststellen, lange bevor die Betroffenen selbst etwas bemerken. Liegt ein Glaukom vor, dann ist an der Papille eine Ausbuchtung zu sehen – je weiter fortgeschritten die Erkrankung ist, umso tiefer ist sie. Nach und nach entwickeln sich Ausfälle im Gesichtsfeld. Da sie sich jedoch zunächst am Rand befinden und das zweite Auge die blinden Flecken ggf. ausgleicht, bemerken die Betroffenen sie aber meist nicht. Eventuell wundert man sich, dass man häufiger über Gegenstände am Boden stolpert oder einen von der Seite nahenden Fahrradfahrer nicht bemerkt, führt dies aber nicht auf Probleme mit den Augen zurück. Eine Untersuchung des Gesichtsfelds kann bei Verdachtsfällen zeigen, welche Funktionseinbußen bereits vorliegen. Weitere diagnostische Verfahren wie die Retinatomographie und die optische Kohärenztomographie liefern insbesondere für die Verlaufsbeobachtung detaillierte Befunde.

Verantwortlich für das Absterben der Nervenfasern ist beim Glaukom eine mangelhafte Blutversorgung des Sehnervs. Für eine ausreichende Durchblutung muss der Blutdruck hoch genug sein, um den Widerstand, der durch den Augeninnendruck verursacht wird, zu überwinden. Die Durchblutungsstörung kann deshalb durch einen erhöhten Augeninnendruck verstärkt werden, er ist jedoch nicht die alleinige Ursache.

Was ist der Augeninnendruck?

Damit das Auge seine Kugelform behält, ist es notwendig, dass im Augeninneren ein konstanter Druck herrscht. Reguliert wird dieser Druck über das Kammerwasser, das hinter der Iris im so genannten Ziliarkörper gebildet wird. Das Kammerwasser fließt zwischen Iris und Augenlinse durch die Pupille in die Vorderkammer des Auges, von dort verlässt es das Auge wieder über das im Winkel der vorderen Augenkammer gelegene Trabekelwerk und den Schlemm‘schen Kanal. Das Trabekelwerk gleicht einem Schwamm mit feinen Poren. Zu einem Anstieg des Augeninnendrucks kann es kommen, wenn die Abflusswege verstopft sind.

Wie wird der Augeninnendruck gemessen?

Die Standardmethode ist die Applanations-Tonometrie. Dabei wird gemessen, welche Kraft notwendig ist, um eine definierten Hornhautfläche abzuflachen. Aus diesem Messwert wird errechnet, wie hoch der Druck im Inneren des Auges ist. Ein anderes Verfahren ist die berührungslose Tonometrie, bei der das Auge mit Hilfe von Luftdruck abgeflacht wird.

Welcher Augeninnendruck ist normal?

Aufgrund statistischer Durchschnittswerte bei gesunden Personen gilt der Wert von 21 mmHg als Obergrenze des normalen Augeninnendrucks. Es ist allerdings nicht einfach festzustellen, ob der Augeninnendruck bei einem Patienten zu hoch ist. Denn er schwankt im Verlauf des Tages und wird von der Körperlage beeinflusst. Auch Messfehler können eine Rolle spielen, etwa wenn die Hornhaut des Auges besonders dick ist. Für eine zuverlässige Diagnose empfehlen Augenärzte daher häufig auch eine Messung der Hornhautdicke. Gegebenenfalls ist es zudem sinnvoll, die Messung zu verschiedenen Tageszeiten zu wiederholen, um ein Tagesdruckprofil zu erstellen.

Normaldruckglaukom

Ein erhöhter Augeninnendruck ist keine Erkrankung, er ist lediglich ein Risikofaktor, der dazu beitragen kann, dass ein Glaukom entsteht. Bei vielen Patienten entwickelt sich ein Glaukom, ohne dass der Druck im Auge auffällig erhöht wäre. Dann sprechen Augenärzte vom Normaldruckglaukom. Doch was ist bei ihnen anders als bei Menschen mit einem Hochdruckglaukom? Auf diese Frage gibt es mehrere Antworten, denn die Patienten mit Normaldruckglaukom stellen keine einheitliche Gruppe dar.
So kann es sein, dass bei jeder Messung des Augeninnendrucks ein normaler Wert vorliegt, es jedoch zu anderen Tageszeiten und in anderen Situationen – beispielsweise wenn man im Bett liegt – zu Druckspitzen kommt, die Schäden hervorrufen. Auch die Einnahme von blutdrucksenkenden Medikamenten wie Betablockern kann ein sekundäres Normaldruckglaukom hervorrufen: Diese Medikamente werden eingesetzt, um einen zu hohen Blutdruck zu behandeln. Die Therapie kann dazu führen, dass der Blutdruck vorübergehend so stark sinkt, dass eine ausreichende Durchblutung des Sehnervenkopfs nicht mehr gewährleistet ist.
Schließlich kann ein Normaldruckglaukom im Zusammenhang mit einem vasospastischen Syndrom auftreten. Bei Vasospasmen verengen sich Blutgefäße krampfartig, was eine Minderdurchblutung des Gewebes nach sich zieht. Sind die Hände und/oder Füße davon betroffen, werden Finger und Zehen kalt und färben sich weiß (Raynaud-Syndrom). Auch die Neigung zu Migräneanfällen kann auf eine entsprechende Störung der Gefäßregulation hinweisen. Die dadurch verursachten Durchblutungsstörungen können auch am Augenhintergrund auftreten und einen Glaukomschaden verursachen.

Individuelle Drucktoleranz

Bei Patienten mit Normaldruckglaukom ist zu beobachten, dass die individuelle Drucktoleranz am Sehnervenkopf niedrig ist: Der Blutdruck in den Gefäßen ist im Vergleich zum Augeninnendruck zu schwach, um die Versorgung des Sehnervs aufrecht zu erhalten. Es ist ein fragiles Gleichgewicht, das möglichst wiederhergestellt werden muss, um das Sehvermögen zu erhalten.

Ansätze für die Therapie

Therapeutisch stellt das Normaldruckglaukom eine Herausforderung dar. Beim Hochdruckglaukom ist die Senkung des Augeninnendrucks eine gute Möglichkeit, den Sehnerv zu entlasten und so das Fortschreiten der Krankheit aufzuhalten. Das geschieht mit Hilfe von Augentropfen oder, falls notwendig, mit einem Lasereingriff oder eine Operation. Hier steht eine Vielfalt an Verfahren zur Verfügung, die ein individualisiertes Vorgehen erlauben. Die Möglichkeit, den Augeninnendruck zu senken, ist bei Patienten mit Normaldruckglaukom aber nur eingeschränkt gegeben. Bei ihnen zielt die Therapie daher darauf ab, die Durchblutung am Augenhintergrund zu verbessern. Bei Patienten mit vasospastischem Syndrom sind Medikamente aus der Gruppe der Calciumantagonisten eine Möglichkeit, die gestörte Gefäßregulation positiv zu beeinflussen. In Einzelfällen kann auch eine Behandlung mit den Wirkstoffen Acetazolamid und Pentoxifyllin das Fortschreiten des Glaukoms stoppen und das Gesichtsfeld stabilisieren. In einer prospektiven Studie wurde dieser Therapieansatz jedoch noch nicht überprüft.

Fazit

Das Normaldruckglaukom zeichnet sich durch ein Glaukom-typisches Absterben des Sehnervs mit entsprechenden Gesichtsfeldausfällen auf, ohne dass der Augeninnendruck erhöht wäre. Verantwortlich ist bei den meisten Betroffenen eine verringerte individuelle Drucktoleranz am Sehnervenkopf. Dadurch wird der Sehnervenkopf nicht ausreichend durchblutet. Therapeutische Ansätze zielen bei den betroffenen Patienten nicht nur auf eine Senkung des Augeninnendrucks ab, sondern auch auf eine Verbesserung der Durchblutung am Augenhintergrund.


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