Pressemitteilung
Medizin/Gesundheit/Augenheiunde

AAD Pressekonferenz 2018

Prof. Dr. Hans Hoerauf:

Absetzen oder nicht?

Was ist vor Augenoperationen zu beachten, wenn Patienten gerinnungshemmende Medikamente einnehmen?

Eine Operation am Auge ist heute in vielen Fällen ein kurzer, ambulanter Eingriff. Noch am selben Tag können die meisten Patienten nach Hause gehen. Damit alles reibungslos und ohne Komplikationen abläuft, ist aber in jedem einzelnen Fall eine sorgfältige, individuelle Vorbereitung notwendig. Dabei spielt immer auch eine Rolle, an welchen anderen Krankheiten die Patienten leiden und welche Medikamente sie regelmäßig einnehmen.

Immer mehr ältere Patienten

Mehr als die Hälfte der Patienten, die augenärztliche Hilfe in Anspruch nehmen, ist heute älter als 70 Jahre. Auch unter den Menschen, die am Auge operiert werden, steigt der Anteil älterer Menschen stetig an. Häufig ist die Augenerkrankung nicht das einzige gesundheitliche Problem. Wegen anderer Erkrankungen, insbesondere Krankheiten, die das Gefäßsystem und das Herz betreffen, nehmen viele dieser Menschen regelmäßig Medikamente ein, die die Blutgerinnung hemmen. Sie sollen verhindern, dass Blutgerinnsel entstehen, die zu einem Schlaganfall oder einem Herzinfarkt führen können. Gleichzeitig steigern diese Medikamente aber das Risiko von Blutungen, die aufgrund der langsameren Blutgerinnung schwerer unter Kontrolle zu bringen sind. Dieses Blutungsrisiko muss gerade bei einer Operation berücksichtigt werden.
Auch Augenchirurgen setzen sich daher immer öfter mit der Frage auseinander, ob vor einem geplanten Eingriff die Medikamenteneinnahme umgestellt werden muss. Die Antwort hängt von verschiedenen Faktoren ab: An welchen Erkrankungen leidet der Patient, welche gerinnungshemmende Medikamente nimmt er ein und was für eine Augenoperation ist geplant?

Moderne Operationsmethoden verringern das Blutungsrisiko

In der modernen Augenchirurgie kommen minimalinvasive Verfahren zum Einsatz, die das Risiko von Blutungen während und nach der Operation auf ein Minimum senken. Die Schnitte, mit denen das Auge eröffnet wird, werden immer kleiner, das Gewebe wird so weit wie möglich geschont. Zumindest bei der Operation des Grauen Stars und der operativen Eingabe von Medikamenten in den Glaskörperraum (Intravitreale Operative Medikamentengabe, IVOM) kann die Betäubung des Auges bei guter Mitarbeit des Patienten immer häufiger mit Augentropfen erfolgen, so dass eine Anästhesie, bei der Spritzen in die Umgebung des Augapfels gesetzt werden (Peribulbäranästhesie), seltener notwendig ist. Daher müssen die Patienten gerinnungshemmende Medikamente gerade bei den häufigsten Eingriffen in der Augenheilkunde in der Regel nicht absetzen.

Keine Umstellung vor Katarakt-OP und IVOM

Das gilt für die Operation des Grauen Stars (Kataraktoperation), bei dem die körpereigene Linse entfernt und durch ein Kunststoffimplantat ersetzt wird. Für diesen Eingriff, der schätzungsweise 800000 Mal pro Jahr in Deutschland ausgeführt wird, genügt häufig eine lokale Betäubung mit Augentropfen. Der Linsentausch erfolgt durch einen wenige Millimeter breiten Hornhautschnitt. Das Risiko, dass eine Blutung auftritt, ist sehr gering. Deshalb besteht international Einigkeit darüber, dass gerinnungshemmende Medikamente vor dem Eingriff in der Regel nicht abgesetzt werden müssen.
Einigkeit besteht ebenso darin, dass auch bei der IVOM keine Umstellung notwendig ist. Bei diesem Verfahren werden unter sterilen Bedingungen im Operationssaal Medikamente ins Augeninnere gegeben, um Netzhauterkrankungen zu behandeln.

Operationsplanung – ein individueller Vorgang

Bei anderen Operationsverfahren – etwa zur Behandlung des Grünen Stars (Glaukom), bei Hornhauttransplantationen, Lidoperationen oder bei Operationen am Glaskörper und/oder der Netzhaut des Auges – fehlen bisher verlässliche Daten, ob ein Absetzen gerinnungshemmender Medikamente notwendig ist. Nach der bisherigen Datenlage scheint es in vielen Fällen vertretbar zu sein, den Eingriff ohne Unterbrechung der Medikamenteneinnahme auszuführen. Selbst bei der Netzhaut/Glaskörperchirurgie, bei der Blutungen leichter auftreten können, fehlt der wissenschaftliche Nachweis der Notwendigkeit einer Umstellung der Medikamentengabe. Mit immer feineren Geräten und kleineren Schnitten in den Augapfel werden auch neue, weniger traumatische Verfahren entwickelt, die das Blutungsrisiko senken. Die Entscheidung trifft der Chirurg in jedem einzelnen Fall, da die Planung jeder Augenoperation ein sehr individueller Vorgang ist, in den ganz verschiedene Aspekte einbezogen werden. Eine Rolle spielt dabei auch, welches Medikament der Patient in welcher Dosis einnimmt und um welche Erkrankung es sich handelt.

Verschiedene Medikamentengruppen

Für die Gerinnungshemmung kommen in der modernen Medizin verschiedene Substanzen zum Einsatz. Trombozytenaggregationshemmer (TAH) sorgen dafür, dass die Blutplättchen weniger leicht verklumpen. Einer der bekanntesten Wirkstoffe ist hier die Acetylsalizylsäure (ASS). Acetylsalizylsäure-Präparate müssen in der Regel vor einer Augenoperation nicht abgesetzt werden. Eine andere Substanzgruppe sind die Vitamin-K-Antagonisten. Vitamin K benötigt der Körper, um Gerinnungsfaktoren zu bilden. Mit Wirkstoffen wie dem in Deutschland häufig eingesetzten Phenprocoumon wird die Aktivität von Vitamin K gehemmt, so dass ein blutverdünnender Effekt einsetzt. Im Falle einer Überdosierung lässt sich einem zu hohen Blutungsrisiko durch die Gabe von Vitamin K wieder gegenwirken. Wie ASS wird auch Phenprocoumon als Tablette eingenommen, allerdings wird die Dosis regelmäßig individuell angepasst. Dazu bestimmt der behandelnde Arzt den INR (International Normalized Ration)- oder Quick-Wert und passt gegebenenfalls die Dosis an. Vor einer Operation ist es sinnvoll, die aktuellen Werte zu erheben, um das Blutungsrisiko einschätzen zu können. Eine neue Gruppe von Medikamenten sind nicht-Vitamin-K-antagonistische orale Antikoagulanzien (NOAK), die direkt bestimmte Gerinnungsfaktoren hemmen. Schließlich stehen Heparine zur Verfügung, die unter die Haut gespritzt werden.

Bridging, Switching, Absetzen

Wenn es notwendig ist, vor einer Operation die Medikamentengabe anzupassen, stehen verschiedene Strategien zur Verfügung. Das klassische Bridging (Überbrückung) sieht den vorübergehenden Wechsel von Vitamin-K-Antagonisten auf Heparin vor. Eine andere Strategie ist der Umstieg (Switching) von NOAK auf Heparine. Schließlich besteht noch die Möglichkeit, auf die gerinnungshemmenden Medikamente für eine gewisse Zeit ersatzlos zu verzichten, wobei sich dies nach dem Grund der Einnahme richtet und nur in enger Absprache zwischen Augenarzt und Hausarzt bzw. Internist oder Neurologe erfolgen kann.

Wie gesund sind die Gefäße?

Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass die Patienten in der Regel bereits ein durch Bluthochdruck oder Arteriosklerose geschädigtes Gefäßsystem haben. Deshalb bleibt auch bei einer Umstellung der Medikation das Risiko bestehen, dass solche geschädigten Gefäße bei einer Operation unerwartet bluten.

Wann ist der beste Zeitpunkt für die Operation?

Wenn Patienten eine Herzoperation – etwa eine Implantation eines Stents in eine Koronararterie – hatten, ist in den nächsten Monaten das Risiko für Komplikationen am höchsten und eine intensive Blutverdünnung ist notwendig. Deshalb sollten planbare (elektive) Eingriffe, bei denen ein Absetzen oder Umstellen erforderlich ist, noch für einige Wochen oder Monate aufgeschoben werden. Auch wenn jemand zur Gerinnungshemmung eine sogenannte Triple-Therapie mit zwei TAH-Präparaten und einem Vitamin-K-Antagonisten erhält, wird eine nicht akut notwendige Operation eher aufgeschoben, bis zumindest eines der Präparate abgesetzt wurde. Da in der Augenheilkunde die meisten Operationen elektiv sind, ist die optimale Zeitplanung eine weitere Möglichkeit, das Risiko für die Patienten möglichst gering zu gestalten.

Fazit

Immer mehr Menschen, die eine Augenoperation benötigen, nehmen regelmäßig wegen anderer Erkrankungen gerinnungshemmende Medikamente ein. Bei der Planung einer Operation muss deshalb geprüft werden, ob ein erhöhtes Blutungsrisiko besteht und ob die Medikation eventuell angepasst werden muss. Bei den häufigsten augenchirurgischen Verfahren, der Kataraktoperation und der IVOM, ist dank moderner, atraumatischer Operationsmethoden eine Umstellung meist nicht mehr notwendig. Für andere Eingriffe fehlen belastbare Daten, so dass die Entscheidung jeweils individuell zu treffen ist, ob die Patienten vor der Operation ihre Gerinnungshemmer absetzen sollten.

Abb.1 Dank moderner, atraumatischer Operationsmethoden in der Augenheilkunde können gerinnungshemmende Medikamente vor Operationen am Auge oft unverändert weiter eingenommen werden.


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