Die moderne Augenheilkunde bietet hervorragende diagnostische und therapeutische Möglichkeiten, um das Sehvermögen der Patienten bis in hohe Alter in guter bis bester Qualität zu erhalten. Ein gutes Sehvermögen ist in unserer Gesellschaft von hoher Bedeutung und Einbußen beim Sehen gehen stets auch mit einem Verlust an Lebensqualität einher. Wenn ein Augenarzt beispielsweise einen Patienten vom Grauen Star (Katarakt) befreit und dabei dank moderner Operationstechniken auch noch eine Fehlsichtigkeit wie eine Hornhautverkrümmung (Astigmatismus) korrigiert, dann bedeutet das für den Patienten einen enormen Zugewinn an Lebensqualität: Nach der Operation ist er nicht mehr auf eine Sehhilfe für die Ferne angewiesen und benötigt die Brille, die er seit seiner Jugend trug, nicht mehr. Aber nicht nur der Patient ist glücklich, auch für den Augenarzt ist ein solches Ergebnis sehr befriedigend. Und wenn ein älterer Patient mit feuchter Makuladegeneration dank konsequenter Therapie weiterhin Auto fahren kann und seine Selbständigkeit bewahrt, bestärkt das den Augenarzt in dem Bewusstsein, einen sehr schönen Beruf gewählt zu haben.
Die gesundheitspolitischen Strukturen in Deutschland sorgen allerdings immer wieder dafür, dass diese Zufriedenheit zunichte gemacht wird. Dabei ist es wichtig, dass der Beruf des Augenarztes für junge Mediziner attraktiv bleibt, denn angesichts der demographischen Entwicklung und des medizinischen Fortschritts wird der Bedarf an augenmedizinischen Leistungen in den kommenden Jahren stetig wachsen.
Der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (G-BA) befindet darüber, welche diagnostischen und therapeutischen Leistungen Ärzte auf Kosten der Krankenkassen erbringen dürfen. Seit einigen Jahren zeigt sich aber insbesondere bei innovativen diagnostischen Verfahren eine befremdliche Blockadehaltung des G-BA. Seine Entscheidungen basieren auf Empfehlungen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) – und dieses fordert bei diagnostischen Verfahren die Einhaltung derselben strengen Regeln der „Evidence Based Medicine“ (EBM) wie bei Behandlungen: In kontrollierten, randomisierten Studien müssen Wirksamkeit und Sicherheit der Verfahren nachgewiesen werden.
Für diagnostische Verfahren gelingt der Nachweis der vom IQWiG geforderten „patientenrelevanten Endpunkte“ nur, wenn belegt wird, dass durch die neue Diagnostik die Therapie verbessert wird, beispielsweise weil die Indikationsstellung sicherer gelingt. Dieser Nachweis ist enorm aufwändig.
Diagnostische Geräte genießen nicht denselben Patentschutz wie Medikamente. Deshalb wird keine Firma, die solche Geräte herstellt, die enormen Kosten für die vom IQWiG geforderten Studien übernehmen. Solche Studien würden zudem die Preise für die Geräte in die Höhe treiben.
Insbesondere bei der Bildgebung entwickeln sich die Verfahren langsam, über Jahre hinweg: Die Technik wird von Gerätegeneration zu Gerätegeneration kontinuierlich verbessert, auch die Software, mit der die Bilder dann generiert und schließlich ausgewertet werden, entwickelt sich immer weiter. So kann es sein, dass der Nutzen eines Verfahrens zunächst nur begrenzt ist. Aber mit zunehmender Verbesserung ist der Nutzen immer offensichtlicher, und die Notwendigkeit von Studien ist nicht mehr erkennbar. Daher findet man für die Studien keine Patienten mehr, die auf diese offensichtlich wertvolle Diagnostik verzichten wollen.
Die Folge der Blockadehaltung des G-BA ist, dass die Kosten für international anerkannte, wertvolle diagnostische Innovationen in Deutschland nicht von den Krankenkassen übernommen werden.
Die strengen Anforderungen der evidenzbasierten Medizin gelten jedoch nicht, wenn es um die Kostenübernahme durch manche Krankenkassen für alternativmedizinische Verfahren geht. So bezahlen viele Krankenkassen Irisdiagnostik, Bachblütentherapie und andere Leistung unkritisch auch ohne den wissenschaftlichen Nachweis ihres Nutzens, weil die Patienten – laut Aussagen von Krankenkassenvertretern – „damit gute Erfahrungen gemacht hätten“.
Die deutsche Augenheilkunde leidet seit Jahren unter den Beschlüssen des G-BA: Leistungen, die Augenärzte für besonders wichtig halten, werden abgelehnt. Beispiele hierfür sind augenärztliche Untersuchungen bei Kleinkindern zur Vermeidung einer Sehschwäche (Amblyopievorsorge) und die Glaukomfrüherkennung. Die Augenheilkunde wird als rein kuratives Fach gesehen, in dem es nur um die Heilung von Krankheiten geht. Präventive oder rehabilitative Aspekte werden völlig außer Acht gelassen.
Ein Blick ins Ausland zeigt, dass Deutschland sich im internationalen Vergleich geradezu lächerlich macht. Die optische Kohärenztomographie – ein Verfahren, das ohne den Patienten zu berühren hochauflösende Bilder der Netzhaut im Augeninneren liefert und aus der modernen Augenheilkunde nicht mehr wegzudenken ist – bietet laut IQWiG keinen erkennbaren Nutzen für die Patienten. Nein, es wird sogar ein potentieller Schaden unterstellt! Schließt sich der G-BA dieser Beurteilung an, dürfen diese Untersuchungen zukünftig dann auch nicht von den Krankenkassen bezahlt werden. International ruft diese Beurteilung nur Kopfschütteln hervor.
Es soll nicht verschwiegen werden, dass der G-BA manchmal auch Beschlüsse fasst, die der augenmedizinischen Versorgung in Deutschland nutzen. Doch in einem aktuellen Beispiel erleben Augenärzte, dass das Gesundheitsministerium eingreift und sinnvolle Regelungen des G-BA wieder streicht.
So erhalten Menschen mit einer ausgeprägten Fehlsichtigkeit unter bestimmten Bedingungen endlich wenigstens die Kosten für neue Brillengläser von der Krankenkasse bezahlt. Die G-BA-Umsetzung der Gesetzesvorgabe sah vor, dass die Kosten nur übernommen werden, wenn ein Augenarzt das Brillenrezept ausstellt. Das ist auch medizinisch sinnvoll: Gerade diese Menschen mit einem starken Sehfehler – das sind etwa drei Prozent der Menschen in Deutschland – haben ein erheblich erhöhtes Risiko, eine schwere Augenerkrankung zu erleiden. Die krankhafte Kurzsichtigkeit (pathologische Myopie), auf die PD Dr. J. Wachtlin in seinem Beitrag eingeht ist ein Beispiel dafür. Wenn diese Patienten eine Sehverschlechterung erleben, muss zunächst ein Augenarzt den Grund dafür abklären. Denn möglicherweise ist eine augenärztliche Therapie wie beispielsweise eine Operation nötig und nicht eine neue Brille. Geht der Patient aber zunächst zum Optiker und lässt sich eine Brille anpassen, wird die dringend notwendige medizinische Diagnose eventuell so sehr verschleppt, dass irreparable Schäden auftreten und das Sehvermögen des Patienten dauerhaft geschädigt wird.
Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) beugt sich nun aber entgegen jedem medizinischen Sachverstand der Lobbyarbeit von Seiten der Optiker – und streicht die sinnvolle Regelung, die einen Verordnungsvorbehalt für Augenärzte vorsieht.
So schwierig aktuell bereits die Situation für die Augenärzte in Deutschland ist – die aktuelle Diskussion über eine Vereinheitlichung der Gebührenordnungen (ein erster Schritt in Richtung Bürgerversicherung) im Zuge der Regierungsbildung lässt für die Zukunft befürchten, dass es noch schlimmer wird. Das bisherige duale System mit gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) und privater Krankenversicherung (PKV) hat gerade in der von Innovationen geprägten Augenheilkunde dazu beigetragen, dass neue diagnostische und therapeutische Leistungen den Patienten schneller zur Verfügung stehen. Die PKV erstattet diese Leistungen sofort, so dass der Arztpraxis eine gewisse Einnahme garantiert ist, um die mit Neuerungen verbundenen Investitionen auch finanzieren zu können. Dies kommt dann oftmals auch den GKV-Versicherten schneller zugute. Die GKV erstattet dagegen nur einen kleinen Teil der innovativen Leistungen über die Kostenerstattung. Wenn die PKV als Motor für die schnellere Einführung innovativer Verfahren wegfällt, sind letzten Endes die Patienten die Leidtragenden.
Ein Beispiel ist hier die intravitreale operative Medikamentengabe (IVOM), bei der unter sterilen Bedingungen im Operationssaal Medikamente direkt ins Augeninnere appliziert werden. Dieses Vorgehen hat in den vergangenen Jahren die Behandlung von Netzhauterkrankungen entscheidend verbessert. Es dauerte etliche Jahre, bis dieses Verfahren auch in den Leistungskatalog der GKV aufgenommen wurde. Die hierfür zur genaueren Diagnostik erforderliche OCT ist immer noch keine GKV-Leistung.
Ein möglicher Wegfall der erheblich höheren PKV-Arzthonorare würde die Fachgruppen unterschiedlich stark betreffen. In Augenarztpraxen entfallen etwas mehr als ein Drittel der Einnahmen auf Privat- und Selbstzahlerleistungen. Das bedeutet, die Augenärzte würden bei einem Wegfall der PKV zu den Fachgruppen mit den höchsten Verlusten zählen. Auch einer Einheitlichen Gebührenordnung, über die aktuell diskutiert wird, steht der Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e.V. (BVA) kritisch gegenüber. Es ist nicht davon auszugehen, dass die höheren Honorare der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) die Grundlage der Honorarkalkulation wären. Eine Einheitliche Gebührenordnung, so ist zu befürchten, würde sich eher am Einheitlichen Bewertungsmaßstab orientieren, der die Grundlage der GKV-Honorare ist und der mit Rabatt- und Budgetierungsregeln eine angemessene Patientenbetreuung erschwert. Daher ist nicht davon auszugehen, dass eine Einheitliche Gebührenordnung den Wegfall eines Drittels der Einkünfte kompensieren würde.
Der BVA appelliert daher an die Politiker, das über Jahrzehnte hinweg bewährte PKV-System nicht aus ideologischen Gründen zu zerschlagen. Ein marodes Versicherungssystem, in dem 90 Prozent der Bevölkerung versichert sind, lässt sich nicht retten, indem die restlichen 10 Prozent gezwungen werden, ihm beizutreten. Immer wieder wird mit zu langen Wartezeiten für GKV-Versicherte bei Fachärzten argumentiert. Diese Wartezeiten gehören in Deutschland aber laut OECD-Angaben [1] zu den weltweit niedrigsten. Der stellvertretende Generalsekretär der OECD, Stefan Kapferer, sprach im Zusammenhang mit den Wartezeiten auf einen Arzttermin von einer „Phantomdebatte“ (Ärztezeitung 04.11.2015). Eine Zerschlagung der PKV könnte die Wartezeiten, wenn überhaupt, nur marginal verkürzen.
Das GKV-System wurde in den vergangenen Jahren auf dem Rücken der Ärzte und Patienten kaputtgespart, zugleich häuften die gesetzlichen Krankenversicherungen erhebliche Rücklagen an. Hier ist ein Umsteuern dringend notwendig. Insbesondere die augenärztliche Grundversorgung ist unterfinanziert – doch leider besteht aktuell kein Anlass zu der Erwartung, dass sich das grundlegend ändern wird.
Die moderne Augenheilkunde bietet hervorragende diagnostische und therapeutische Möglichkeiten, um den Menschen in Deutschland bis ins hohe Alter einen klaren Durchblick zu erhalten. Gleichwohl macht es die Gesundheitspolitik in Deutschland den Augenärzten schwer, ihren Beruf erfolgreich auszuüben. Die Blockadehaltung des G-BA insbesondere gegenüber neuen diagnostischen Verfahren ist nicht nachvollziehbar – im internationalen Vergleich macht sich Deutschland geradezu lächerlich damit. In der aktuellen Diskussion über eine Neuordnung des deutschen Krankenversicherungssystems appelliert der BVA an die Politiker, die über Jahrzehnte hinweg bewährte PKV nicht zu zerschlagen. Zudem muss die Unterfinanzierung der augenärztlichen Grundversorgung in der GKV endlich behoben werden.
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