Pressemitteilung
Medizin/Gesundheit/Augenheilkunde

AAD Pressekonferenz 2015

Prof. Dr. Klaus Rüther, Berlin:

Schieloperationen heute

Wann sind sie nötig, wie aufwendig sind sie?

Verharmlosend ist mitunter vom „Silberblick“ die Rede, manchmal heißt es auch etwas flapsig, jemand gucke „um die Ecke“: Es geht um das Schielen, in der Fachsprache „Strabismus“ genannt. Gemeint ist damit der Zustand, bei dem die beiden Augen eines Menschen nicht auf dasselbe Objekt ausgerichtet sind. Wie vielfältig die Auswirkungen sind, kann sich derjenige, der nicht davon betroffen ist, kaum vorstellen. Sie reichen von Doppelbildern über Kopfschmerzen und die Unfähigkeit zum räumlichen Sehen bis hin zu erheblichen psychosozialen Problemen, weil es schwierig ist, mit anderen Menschen Blickkontakt aufzunehmen.

Keine kosmetische Operation

Mit einer Operation an den Augenmuskeln lässt sich das Schielen verringern oder sogar ganz beheben. Von anderen augenchirurgischen Eingriffen unterscheiden sich Augenmuskeloperationen vor allem dadurch, dass ansonsten gesunde Augen operiert werden. Doch ein kosmetischer Eingriff ist diese Operation in keinem Fall, denn in erster Linie ist das Ziel ein besseres beidäugiges Sehen; damit wird die Funktion des sehr komplexen Sehsystems verbessert.
Ganz verschiedene Probleme lassen sich mit einer Augenmuskeloperation verringern. Nicht nur Doppelbilder schwinden, auch eine Kopfzwangshaltung, die häufig als Folge des Schielens auftritt, ist nach der Operation besser oder gänzlich verschwunden. Auch das beidäugige, räumliche Sehen lässt sich – zumindest teilweise – wiederherstellen oder der Verlust lässt sich im Vorfeld verhindern. Das wirkt sich auch positiv auf Beschwerden wie Kopfschmerzen aus, die häufig durch die Störung des beidäugigen Sehens hervorgerufen werden. Bei Augenkrankheiten, die mit einem Augenzittern (Nystagmus) verbunden sind, kann die Augenmuskeloperation das Sehvermögen ebenso verbessern. Schließlich wird auch die psychosoziale Benachteiligung beseitigt, die mit einem großen Schielwinkel verbunden ist.

Verschiedene Formen des Schielens

Für die Bewegungen des Auges sind die sechs äußeren Augenmuskeln verantwortlich. Sie gehören zu den aktivsten Muskeln im menschlichen Körper und erlauben ein bis drei Mikrosakkaden pro Sekunde – schnelle Blicksprünge, die es uns ermöglichen, unsere Umgebung im Blick zu behalten. In einem komplexen Zusammenspiel führen diese sechs Muskeln die Drehbewegungen der Augen in alle Richtungen aus. Zudem sorgen sie dafür, dass die Stellung beider Augen zueinander stabil bleibt und sie richten das Auge exakt auf das zu fixierende Objekt aus. Drei Hirnnerven steuern die Aktivität der Muskeln; diese Innervation ist ständig aktiv und erlahmt auch im Schlaf nie gänzlich.
Dieses hochkomplexe System kann auf verschiedene Weise aus dem Gleichgewicht geraten, dann kommt es zum Schielen. Augenärzte unterscheiden dabei das Begleitschielen, mit normaler Beweglichkeit beider Augen, vom Lähmungsschielen, bei dem die Beweglichkeit eines oder beider Augen eingeschränkt ist. Begleitschielen fällt meist schon im Kindesalter auf und kann unbehandelt eine lebenslange Sehschwäche (Amblyopie) des schielenden Auges zur Folge haben. Vom Lähmungsschielen, das durch eine Störung der Augenmuskelnerven verursacht wird, sind meistens Erwachsene betroffen. Daneben gibt es auch noch das latente Schielen, das in der Regel nicht behandelt werden muss. Dabei wird eine Stellungsabweichung beider Augen zueinander durch die Zusammenarbeit der Augen korrigiert. Ein latentes Schielen fällt nur dann auf, wenn diese Korrektur bei Überanstrengung, Übermüdung oder Stress zu Beschwerden wie etwa Kopfschmerzen führt, oder aber wenn beispielsweise nach Alkoholgenuss Doppelbilder wahrgenommen werden.

Eine Augenmuskeloperation kann in jedem Alter notwendig werden

Eine Schieloperation – oder besser „Augenmuskeloperation“ – ist besonders häufig schon im Kindesalter notwendig. In Deutschland wird sie dann meistens im Jahr vor der Einschulung durchgeführt. So lässt sich vermeiden, dass die Augenstellungsabweichung den Schulerfolg behindert. Nur wenn das Schielen sehr stark ist, kann es notwendig sein, schon früher zu operieren. Besteht bei einem Kind neben dem Schielen auch eine einseitige Sehschwäche (Amblyopie), dann sollte deren Behandlung – in der Regel durch „Okklusion“, ein zeitweiliges Abdecken des stärkeren Auges – vor der Augenmuskeloperation weitgehend abgeschlossen sein. Nach der Operation sollte weiterhin aufmerksam beobachtet werden, ob ein Auge bevorzugt wird und wie lange die Amblyopiebehandlung gegebenenfalls noch fortgesetzt werden muss. Benötigt ein Patient zur Korrektur einer Fehlsichtigkeit eine Brille, dann wird diese auch nach einer Schieloperation noch nötig sein. Der Eingriff hat keinen Einfluss auf den Bedarf von Sehhilfen.

Augenmuskeloperationen bei Erwachsenen

Bei erwachsenen Patienten ist eine Schieloperation vor allem dann angezeigt, wenn beim beidäugigen Sehen Doppelbilder auftreten. Eine differenzierte, gründliche Diagnose ist beim Auftreten solcher Doppelbilder dringend notwendig. Ein Grund für diese Beschwerden kann eine Schädigung der Nerven sein, die die Augenmuskeln steuern. Dies kann eine Lähmung der betroffenen Augenmuskeln zu Folge haben. Aber auch eine bereits bestehende Schielerkrankung kann im Rahmen einer Dekompensation die Ursache von Doppelbildern sein.
Eine besondere, häufig auch schmerzhafte Form der Augenbewegungsstörung ist die endokrine Orbitopathie. Sie tritt im Zusammenhang mit dem Morbus Basedow auf, einer Autoimmunerkrankung, die vor allem, aber nicht nur die Schilddrüse betrifft. Es kommt auch zu Entzündungen im Bereich des Auges und später zur Degeneration eines oder mehrerer Augenmuskel, sodass ein oder beide Augen nur noch sehr eingeschränkt bewegt werden können. Die Krankheit ist bei vielen Patienten auch damit verbunden, dass die Augäpfel stark hervortreten.
Solange die Entzündung aktiv ist, muss die endokrine Orbitopathie von Internisten und Augenärzten gemeinsam zum Stillstand gebracht werden. Sobald ein stabiler Zustand erreicht ist, kann im nächsten Schritt eine Augenmuskeloperation notwendig sein, um beidäugige Doppelbilder oder auch eine störende Kopfzwangshaltung zu beheben.

Untersuchungen vor der Operation

Vor einer Operation an den Augenmuskeln müssen die Augenstellung, die Augenbeweglichkeit und die Kopfhaltung sehr sorgfältig untersucht werden, idealerweise werden diese Untersuchungen mehrfach wiederholt. In der Regel nimmt eine Orthoptistin diese Untersuchungen vor, eine auf Schielerkrankungen spezialisierte Fachkraft.

Für die Operation selbst wird die Bindehaut des Auges eröffnet, nicht aber der Augapfel. Das Auge wird in der Augenhöhle in gewissem Umfang gedreht, so dass der Chirurg den oder die jeweils zu behandelnden Muskel erreichen kann. Dabei verbleibt das Auge in der Augenhöhle, ein Herausziehen ist nicht möglich. Der Operateur verwendet für den Eingriff eine Lupenbrille oder ein Operationsmikroskop.
Bei Kindern ist eine Vollnarkose notwendig, ebenso bei Operationen an beiden Augen oder wenn eine Folgeeingriff nach einer zuvor nicht ausreichend erfolgreichen Operation notwendig wurde. Einfache Eingriffe können bei erwachsenen Patienten auch unter lokaler Betäubung ausgeführt werden.

Nach der Operation treten in der Regel stärkere Schmerzen auf als bei anderen Augenoperationen und es sind aufgrund der Veränderung im Zusammenwirken beider Augen engmaschige Nachuntersuchungen notwendig. Daher wird sie meistens stationär durchgeführt.

Fazit

Eine Augenmuskeloperation ist kein kosmetischer Eingriff. Ihr Ziel ist es, das beidäugige Sehen zu verbessern und psychosoziale Beeinträchtigungen zu beheben. Eine Operation an den Augenmuskeln kann in jedem Alter notwendig werden. Auf eine vorhandene Fehlsichtigkeit hat die Operation keinen Einfluss. Wer eine Brille oder Kontaktlinsen braucht, wird auch danach auf die Sehhilfe angewiesen sein.



Prof. Dr. med. Klaus Rüther
Dorotheenstraße 56
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Fax (030) 22 48 90 31
ruether@freenet.de

Literatur:

Kaufmann, H; Steffen, H (Hrsg.): Strabismus, 4. Auflage 2012




Abbildung 1: Wenn Kinder schielen, kann das Gehirn die Seheindrücke beider Augen nicht zu einem Seheindruck verarbeiten. In der Folge kann sich eine lebenslange Sehschwäche (Amblyopie) auf einem Auge entwickeln – die von diesem Auge wahrgenommenen Informationen werden nicht mehr verarbeitet. Indem das stärkere Auge immer wieder für einige Stunden abgedeckt wird, lässt sich die Amblyopie bei Kindern behandeln. Vor einer Schieloperation muss diese Therapie abgeschlossen sein.
Bildquelle: BVA, mit freundlicher Genehmigung von Prof. Krzizok und Kollegen, Augenpraxisklinik Esslingen


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