Pressemitteilung
Medizin/Gesundheit/Augenheilkunde

AAD Pressekonferenz 2003

Ohrloff:

Die heutigen Grenzen der wissenschaftlichen Augenheilkunde  

Spektakuläre Berichte verstellen den Blick auf das Erreichte. An Beispielen werden die Grenzen zwischen Vision und Utopie aufgezeigt.

Zwar liest man hin und wieder Meldungen wie „Blinde werden wieder sehend“, doch das ist eher eine biblische Botschaft. Leider verstellen solche Sensationsberichte, die keiner kritischen Prüfung standhalten, den Blick auf das, was die Augeneilkunde heute leisten kann, und auf das, was Gegenstand seriöser wissenschaftlicher Forschung ist und voraussichtlich innerhalb relativ kurzer Zeit für den Menschen verfügbar sein wird.

In Deutschland sind bis zu 20 Prozent der Bevölkerung von Blindheit bedroht. Dennoch sind nur etwa 130.000 Mitbürger tatsächlich erblindet, also weit weniger als ein Prozent und damit ist bei uns der Anteil an blinden Menschen weitaus niedriger als in den anderen Industrienationen. Das ist darauf zurückzuführen, dass wir eine flächendeckende und hochtechnisierte augenärztliche Versorgung auf höchstem Niveau haben.
Entscheidende Voraussetzungen dafür sind:
Die Universitäts-(Augen)-Kliniken, in denen die Wissenschaft zu Hause ist, sind im täglichen Leben der Gesundheitsabläufe verankert. Forschung kann nur dort gedeihen, wo nicht nur etablierte Fachgebiete sondern vielmehr Verbindungen multidisziplinärer, methodischer und inhaltlicher Kompetenz zu finden sind. Wissensaustausch und Zusammenarbeit findet bei uns sowohl zwischen den Universitäten statt als auch zwischen diesen und außeruniversitären Instituten, zwischen Natur- und Ingenieurwissenschaft, zwischen biologischen Disziplinen und Kliniken. Wichtig vor allem ist die enge Verbindung zwischen Wissenschaft und Praxis, zwischen Grundlagen- und Anwendungsforschung. Wo erkenntnisorientierte Grundlagenforschung und praxisorientierte Anwendungsforschung zusammenwirken, wird der Fortschritt forciert. Und das ist in der Augenheilkunde der Fall.

Obwohl sie zu den „kleinen“ Fächern der Medizin gehört, hat die Augenheilkunde Innovationen hervorgebracht, die bahnbrechend für die gesamte Medizin waren:

Der Einsatz von Lasern, die heute für die Fachärzte der meisten Disziplinen unverzichtbar sind, nahm seinen Anfang in der Augenheilkunde mit der Behandlung von Netzhautablösungen. Ihr Anwendungsgebiet wurde ständig ausgedehnt, z.B. auf Behandlung von krankhaften Gefäßneubildungen in der Netzhaut (altersabhängige Makuladegeneration) oder zur Korrektur von Fehlsichtigkeiten.
Laseranwendung als bildgebendes Verfahren in der Diagnostik erlaubt optische Schnitte mit einer Auflösung im 15 Mikronbereich – vergleichbar einem histologischen Schnitt in vivo.

Mit der Anwendung des Operationsmikroskops und mikrochirurgischer Instrumente in der Augenheilkunde begann in den 60-er Jahren eine Entwicklung, die in den heutigen Standard, die Staroperation mit Implantation einer künstlichen Augenlinse, mündete.

Durch die Mikrochirurgie konnten bis dahin ungeahnte Wege der Glaskörper- und Netzhautchirurgie beschritten werden, was vor allem Patienten zugute kommt, die früher wegen Netzhautablösungen erblindeten. Diabetiker waren besonders gefährdet.

Medikamententräger werden ins Auge implantiert, die über Monate und Jahre Substanzen abgeben, die chronische Entzündungen eindämmen oder eine krankhafte Gefäßneubildung in der Netzhaut hemmen. Mit dieser innovativen Behandlungsmethode werden systemische Nebenwirkungen der medikamentösen Langzeittherapie vermieden.

Wie sich Erreichtes, realisierbare Visionen und Utopie berühren, wird am besten am Beispiel der Netzhautdegenerationen deutlich. Netzhautdegenerationen können genetisch bedingt und angeboren sein, das ist z.B. bei der Retinitis pigmentosa der Fall, sie können aber auch erst im späteren Verlauf des Lebens auftreten und unterschiedliche – zum Teil noch nicht ganz geklärte Ursachen haben. Die Behandlung dieser Netzhautdegenerationen ist eine Herrausforderung an die Augenheilkunde, vor allem die der Netzhautmitte, der altersabhängigen Makuladegeneration (AMD), an der in Deutschland etwa zwanzig Prozent aller Menschen über 65 Jahre leiden, Tendenz zunehmend. Die Forschung setzt sich mit vielen Therapiekonzepten auseinander, wobei Operationsverfahren mit oder ohne Implantation von zellulärem Material ebenso große Aufmerksamkeit erregen wie Versuche, mit Vitaminen und Spurenelementen in hohen Dosen die Krankheit einzudämmen. Als erfolgreich hat sich bei einer eng begrenzten Zahl von Patienten das Verfahren der photodynamischen Therapie (PDT) erwiesen, bei dem durch Laserbehandlung krankhafte Gefäßneubildungen verödet werden, die zuvor mit einem Farbstoff aktiviert wurden.

Vielversprechend ist die Nanomedizin. „Nano“ heißt eigentlich nur extrem klein. Aber Innovationen in diesem Bereich spielen eine große Rolle für Weiterentwicklungen in der Medizin. Dass minimal invasive Eingriffe mittels Nanotechnik eine Chirurgie gewissermaßen auf zellulärer Ebene ermöglichen werden, ist eine faszinierende und nicht einmal utopische Vorstellung.

Große Hoffnung wird in die Gentherapie gesetzt. Doch alle Meldungen, die an der wissenschaftlich kritischen Diskussion vorbei in die Öffentlichkeit gelangen, sind mit Vorsicht zu genießen. Tatsächlich sind innerhalb der letzten zwölf Jahre erstaunliche Fortschritte erreicht worden. So ist es gelungen, am Tiermodell mit Netzhautdegeneration den genetischen Defekt durch Gentransfer in die Fotorezeptorzelle zu korrigieren. Doch wird es noch Jahre der Forschung erfordern, bis eine solche Therapie für Menschen mit AMD zur Verfügung stehen könnte. Die Verfahren müssen in weiteren Tierversuchen erprobt werden und im späteren Verlauf des Forschungsprojekts vor allem auch an Primaten, denn nur sie haben eine Makula.
Beim Gentransfer werden verschiedene Strategien angewendet. So zielt der Ansatz bei rezessiven Netzhautdegenerationen (also bei nicht dominanter Erbanlage) darauf, eine normale Kopie des mutierten Gens mithilfe eines Vektors, eines Elementes, das genetisches Material überträgt, in die Zielzelle einzuschleusen. Ob nun ein bekanntes Gen ersetzt werden soll oder ob die eingeschleuste Erbsubstanz unabhängig von einem krankheitserzeugenden Gendefekt die Funktion der Zelle erhalten oder verändern soll: Allen Strategien ist gemeinsam, dass mithilfe eines -ähnlich wie ein trojanisches Pferd funktionierenden – Vektors DNA in die Zellen gebracht werden muss. Dazu werden mit ermutigendem Erfolg ganz bestimmte Viren verwendet. Ein solider Grundstein für die Planung klinischer Studien ist gelegt.
Der breite klinischer Einsatz der Gentransfertechnologien in der Augenheilkunde ist jedoch in den nächsten fünf Jahren nicht zu erwarten, ganz abgesehen davon, dass noch kein Wort zu den immensen Kosten gesagt ist.

Unbestritten sind die Erfolge der Molekulargenetik bei der Erforschung vor allem der erblichen Netzhautdegenerationen. Bei Krankheiten wie der Retinitis pigmentosa, bei denen man früher nur Krankheitsbild und Verlauf kannte, sind jetzt die Baupläne vieler Proteine und damit die genetischen Ursachen entschlüsselt. Dies ist jedoch nur ein erster Schritt, dem noch weitere folgen müssen, ehe die Gentherapie vom Tierversuch auf den Menschen übertragen werden kann.

Die Forschungsarbeiten auf dem Gebiet elektronischer Implantate werden weltweit vorangetrieben und sind in Deutschland am weitesten fortgeschritten. Trotzdem wird es noch Jahre dauern, ehe einer kleinen Gruppe von Blinden geholfen werden kann. Anders lautende Berichte, denen zufolge schon heute Blinde mit solchen Implantaten ein – und sei es noch so bescheidenes – Sehvermögen erlangen können, sind mit großer Skepsis zu betrachten.

Erhebliche Fortschritte wurden in der Versorgung schwerer Augenverletzung und in der Transplantationsmedizin gemacht. Hornhäute heilen ein und bleiben heutzutage auch in manchen Fällen klar, wo sie sich früher nahezu immer eintrübten. Erkenntnisse über das Immunsystem und die Bedeutung der Hornhautstammzellen haben dazu beigetragen. Obwohl sich Sehnervengewebe im Experiment als regenerationsfähig erwiesen hat und die Stümpfe eines zertrennten Sehnervs sogar zusammenwachsen können – über dieses Forschungsergebnis der Universitäts-Augenklinik Münster wurde anlässlich der AAD-Pressekonferenz 2002 berichtet –, bleibt die Verpflanzung eines ganzen Auges wohl noch für lange Zeit eine Science-Fiction-Vision.

Professor Dr. med. Christian Ohrloff
Direktor der Univ.-Augenklinik Frankfurt
Theodor-Stern-Kai 7
60590 Frankfurt
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Fax: 069-6301-6586
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