AAD Pressekonferenz 2002
Reinhard:
Stammzelltransplantation bei Hornhauterkrankungen
Funktionsfähige Stammzellen sind für die Heilung schwer verletzter Hornhäute unverzichtbar. Erkenntnisse werden in der Augenchirurgie genutzt (Glossar)
Die Transplantation adulter Stammzellen wird seit mittlerweile mehr als zehn Jahren zur Rehabilitation von Patienten mit Erkrankungen der Oberfläche der Augenhornhaut eingesetzt. Eine Stammzelltransplantation an der Hornhaut kann autolog (Übertragung von Stammzellen vom gesunden auf das kranke Auge des selben Patienten) oder homolog (Übertragung von Stammzellen der Hornhaut eines Spenders auf einen beidäugig erkrankten Patienten) erfolgen. Die autologe Stammzelltransplantation ist die Ausnahme, da die meisten Erkrankungen die Stammzellen der Hornhaut beider Augen beeinträchtigen.
Sie hat aber gegenüber der homologen Stammzelltransplantation den großen Vorteil, dass keine Abstoßungsreaktionen auftreten können. Für die homologe Stammzelltransplantation ist wichtig, dass der Patient nicht irgendeine Spenderhornhaut bekommt, sondern die zu seinen Gewebemerkmalen am besten passende. Das erfordert eine HLA-Typisierung (Bestimmung der wesentlichen Oberflächencharakteristika von Zellen), um dann Spender- und Empfängergewebe optimal zusammenzuführen (=HLA-Matching). Außerdem sollten Immunsuppressiva eingesetzt werden, um Abstoßungsreaktionen zu unterbinden.
Ob die Transplantation pluripotenter , also noch nicht spezialisierter (beispielsweise embryonaler) Stammzellen in der Therapie von Patienten mit schweren Oberflächenstörungen der Hornhaut eine Rolle spielen kann, müssen künftige tierexperimentelle und klinische Studien zeigen.
Die Hornhaut ist die "Windschutzscheibe", das klare Fenster des Auges zur Außenwelt. Sie ist etwa einen halben Millimeter dick und ist aus insgesamt fünf Schichten aufgebaut:
1. | Oberflächenzellen (ganz außen, nicht verhornendes Plattenepithel); |
2. | Bowmansche Membran (zellfrei, Kollagen); |
3. | Stroma (wenige Zellen, Kollagen); |
4. | Descemetsche Membran (wiederum zellfrei, Kollagen); |
5. | Endothel (ganz innen, einlagige Zellschicht). |
Die Regeneration der äußersten Hornhautschicht, der Oberflächenzellen, wird von Stammzellen in der Limbusregion (Übergang von der Bindehaut zur Hornhaut) gesteuert. Diese Limbusstammzellen können durch Traumata (beispielsweise Verätzungen, Verbrennungen) oder durch Autoimmunerkrankungen mit Bindehaut- und Hornhautbeteiligung (beispielsweise okuläres Pemphigoid) zerstört werden.
Bei den erblichen Hornhauttrübungen, den Dystrophien, kommt es durch genetische Veränderungen (Mutationen) zu Fehlfunktionen der Limbusstammzellen. Jedwede Zerstörung oder Fehlfunktion der Limbusstammzellen mindert die Sehschärfe bis hin zur Erblindung.
Seit man die Bedeutung der Limbusstammzellen erkannt hat, weiß man auch, warum bei schweren Verletzungen, insbesondere bei Verätzungen der Hornhaut, die herkömmliche Verpflanzung einer Spenderhornhaut nicht ausreicht. Hier wird nur ein mehr oder minder großes zentrales Scheibchen verpflanzt; die zerstörten Limbusstammzellen werden nicht ersetzt. Nach ein bis zwei Jahren sind die Oberflächenzellen des Hornhauttransplantats
"aufgebraucht". Nur gesunde Limbusstammzellen können die Regeneration der Transplantatoberfläche steuern. Ansonsten bilden sich wieder Trübungen der Hornhaut aus; das Auge erblindet erneut.
Die Transplantation von Limbusstammzellen bietet erstmalig die Möglichkeit einer langfristigen Rehabilitation dieser Patienten.
Bisher sind folgende Verfahren der Limbusstammzelltransplantation erprobt:
• | die Verwendung lamellärer Limbustransplantate (vor allem autolog, aber auch homolog möglich), |
• | die Verwendung von Amniontransplantaten mit ex-vivo kultivierten Limbusstammzellen (derzeit noch sehr kurze Nachbeobachtungszeiten, bislang wurde dieses Verfahren nur bei sehr wenigen Patienten angewendet, es ist autolog und homolog möglich) |
• | und die in Düsseldorf entwickelte zentrale Limbo-Keratoplastik (Transplantation von klarer Hornhaut simultan mit Limbusstammzellen, nur homolog) |
Bei diesem Verfahren wird die Spenderhornhaut nicht zentral sondern randständig entnommen, sodass das Scheibchen an seinem Rand Stammzellen in ausreichender Menge enthält. Eingepflanzt wird es zentrisch. Die verpflanzten Stammzellen sollen überleben und Anschluss an die zumeist schon eingesprossenen Blutgefäße gewinnen.
Die Chance: Das Transplantat kann dauerhaft einheilen.
Das Problem: Die Immunreaktionen müssen über längere Zeit mit kortisonhaltigen Augentropfen und systemischen Immunsuppressiva eingedämmt werden.
Professor Dr. med. Thomas Reinhard und Professor Dr. med. Rainer Sundmacher
Augenklinik der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf
Fax: 0211-81 18796
E-Mail:
thomas.reinhard@uni-duesseldorf.de
Glossar
Stammzellen | undifferenzierte, "sich selbst-erneuernde" Zellen |
Adulte Stammzellen | "erwachsene" Stammzellen |
Pluripotente Stammzellen | Stammzellen, die durch bestimmte Wachstumsfaktoren dazu gebracht werden können, den Zellnachschub in sehr unterschiedlichen Geweben oder Organen zu übernehmen (beispielsweise Entstehung von Leberzellen aus pluripotenten Stammzellen des Knochenmarks) |
Mutation | spontane oder künstlich erzeugte Veränderung von Genen |
Amnion | Eihaut des Mutterkuchens von Schwangeren (wird bei der Geburt eines Kindes gewonnen, sofern eine Einwilligung vorliegt) |
Hornhautdystrophie | angeborene "Stoffwechselstörung" der Hornhaut durch eine Mutation, die langfristig einen Transparenzverlust der Hornhaut bewirken kann |
HLA=Humanes Leukozyten Antigen System
| "Oberflächenmarker" von Zellen (werden vom Immunsystem erkannt) |
Okuläres Pemphigoid | Erkrankung des Immunsystems mit Angriff u.a. der eigenen Limbusstammzellen |
Ex vivo Kultivierung von Limbusstammzellen | Entnahme von gesunden Limbusstammzellen, die dann im Labor auf Amnion aufgebracht und vermehrt werden, um danach auf erkrankte Augen transplantiert zu werden |
Immunsuppressiva | Medikamente, die das Abwehrsystem gegen fremdes Gewebe "bremsen" |
Herausgeber:
Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e.V. (BVA)
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