Maria P. ist 49 Jahre alt. Auf dem linken Auge ist sie kurzsichtig (-2,5 Dioptrien), das rechte Auge ist weitsichtig (+3,75 Dioptrien). Als Kind hatte sie eine Schieloperation. Seit einigen Jahren schon trägt sie eine Gleitsichtbrille, um ihre Alterssichtigkeit auszugleichen. Als sie zu einer Kontrolle ihrer aktuellen Fehlsichtigkeit in die Augenarztpraxis kommt, erhält sie ein Informationsblatt zum Thema Glaukomfrüherkennung. Sie überlegt: Was spricht dafür, was spricht dagegen?
Früherkennungsuntersuchungen in der Augenheilkunde bieten immer wieder Anlass zu Diskussionen. Seien es Vorsorgeuntersuchungen für Kinder, die eine lebenslange Sehschwäche auf einem Auge verhindern sollen, seien es Angebote für ältere Patienten zur rechtzeitigen Diagnose eines Glaukoms (Grüner Star) oder einer Altersabhängigen Makuladegeneration. Die Krankenkassen bezahlen solche Untersuchungen nur, wenn ein begründeter Verdacht vorliegt. Den Patienten vermitteln die Kassen den Eindruck, sie bezahlten alle sinnvollen und notwendigen Maßnahmen. Warum also sollte sich ein Patient dafür entscheiden, beispielsweise die Glaukom-Früherkennungsuntersuchung aus der eigenen Tasche zu bezahlen? Welchen Nutzen hat er davon?
Das Glaukom ist neben der Altersabhängigen Makuladegeneration (AMD) und der diabetischen Retinopathie (Diabetes-bedingte Netzhauterkrankung) eine der häufigsten Erblindungsursachen in Deutschland. Rund 1.500 Menschen erblinden Jahr für Jahr in Deutschland aufgrund einer Glaukomerkrankung. Etwa 950.000 Menschen in Deutschland sind am Glaukom erkrankt. Dabei ist die Dunkelziffer hoch. Denn die Patienten selbst bemerken das Glaukom sehr lange nicht. Der Sehverlust schreitet langsam und schleichend voran, Ausfälle im Gesichtsfeld des einen Auges können lange Zeit durch das andere Auge ausgeglichen werden - der Patient nimmt sie nicht wahr. So kann es geschehen, dass ein am Glaukom erkrankter Autofahrer ein Kind, das plötzlich auf die Straße läuft, erst bemerkt, wenn es sich unmittelbar vor dem Auto befindet. Erst wenn bereits ein großer Teil des Sehnervs irreparabel zerstört ist, bemerkt der Patient selbst die blinden Flecken im Gesichtsfeld. Der "begründete Verdacht" kommt beim Patienten also erst dann auf, wenn es schon fast zu spät ist, das Sehvermögen zu retten.
Augenärzte können das Glaukom jedoch mit verschiedenen Untersuchungsmethoden bereits entdecken, wenn das Sehvermögen noch nicht beeinträchtigt ist. Und dann können sie mit verschiedenen Medikamenten, die ins Auge getropft werden, oder auch mit operativen Methoden das Fortschreiten der Krankheit aufhalten.
Warum bezahlen die Krankenkassen die Untersuchung nicht, fragt sich Maria P., wenn die Früherkennung doch die einzige Möglichkeit ist, die Erblindung durch ein Glaukom zu verhindern?
Der medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) argumentiert, bislang sei nicht belegt, dass eine Glaukomfrüherkennung mit nachfolgender Behandlung das Erblindungsrisiko tatsächlich reduziere. Verschiedene Studien hätten zwar gezeigt, dass eine frühzeitige Therapie das Fortschreiten der Gesichtsfeldausfälle verlangsamen kann. Doch inwieweit sich das auf das Erblindungsrisiko auswirke, sei unklar. Außerdem, argumentiert der MDK, seien die diagnostischen Verfahren nicht zuverlässig - es gebe viele falsch-positive Befunde, die den Patienten im Glauben lassen, er sei krank, obwohl das tatsächlich nicht so ist. Andererseits würden tatsächlich vorhandene Sehnervenschäden bei den Untersuchungen übersehen.
Maria P. ist verunsichert. Sie fragt bei ihrem Augenarzt nach, ob die Glaukomfrüherkennung wirklich so unsicher ist.
Jedes einzelne Untersuchungsverfahren ist, isoliert gesehen, tatsächlich nicht aussagekräftig genug, um ein Glaukom festzustellen oder auszuschließen. Die Glaukomfrüherkennung umfasst deshalb eine Kombination verschiedener Verfahren:
Diese Kombination aus verschiedenen Untersuchungsmethoden entspricht dem heutigen medizinischen Standard. Aus den Studien, auf die sich der MDK mit seiner Argumentation stützt, hat die Augenheilkunde bereits die nötigen Schlüsse gezogen.
Der Aufwand, mit dem Augenärzte nach dem Glaukom fahnden, ist erheblich, merkt Maria P. Dieser Aufwand muss auch honoriert werden - und das dürfte das eigentliche Problem sein, überlegt sie.
Die Krankenkassen unterliegen dem Wirtschaftlichkeitsgebot: Ihre Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Ein flächendeckendes Glaukom-Screening für die gesamte Bevölkerung wäre nicht kosteneffizient.
Prozentual gesehen ist der Anteil der Glaukomkranken an der Gesamtbevölkerung nicht hoch: 0,4 Prozent der 40- bis 54-Jährigen haben einen glaukombedingten Sehnervenschaden, bei den 55- bis 74-Jährigen sind es 2,6 Prozent, bei den über 75-Jährigen 7,6 Prozent. Für den einzelnen Patienten ist es aber, abhängig von seinem individuellen Risiko, sinnvoll das Angebot der Augenärzte zu nutzen, um sicher zu gehen, dass sein Sehvermögen erhalten bleibt.
"Anhand welcher Kriterien kann ich mein individuelles Risiko abschätzen?", fragt sich Maria P.
Wichtigster Risikofaktor ist das Alter. Ab dem 40. Lebensjahr steigt die Wahrscheinlichkeit, am Glaukom zu erkranken, deshalb raten Augenärzte ab diesem Alter zur Glaukomfrüherkennung. Ein erhöhtes Risiko haben auch Menschen, unter deren Verwandten ersten Grades (Eltern, Geschwister) Glaukomkranke sind. Auch Kurzsichtige (ab einer Dioptrie) sind vermehrt betroffen.
Maria P. stellt fest, dass zwei dieser Risikofaktoren auf sie zutreffen: Sie ist über 40 Jahre alt und auf einem Auge kurzsichtig - deshalb entscheidet sie sich für die augenärztliche Früherkennungsuntersuchung. Dabei nutzt sie die Gelegenheit und lässt den Augenarzt auch nach ersten Anzeichen anderer Augenkrankheiten suchen.
Beim Blick durch die Spaltlampe forscht der Augenarzt nicht nur nach dem Glaukom Er erkennt auch erste Anzeichen einer Altersabhängigen Makuladegeneration (AMD) oder er sieht Veränderungen der Blutgefäße, die auf Bluthochdruck oder Diabetes hinweisen, der ohne rechtzeitige Behandlung zu einer diabetischen Netzhautkrankheit führt. Ebenso wie beim Glaukom ist bei diesen beiden Augenkrankheiten eine frühe Diagnose von Bedeutung, weil im Frühstadium die Möglichkeiten der Therapie noch am meisten Aussicht auf Erfolg haben. Das ist insbesondere der Fall bei der feuchten Form der AMD, bei der krankhafte Blutgefäße wuchern, aus denen Flüssigkeit austritt. Dadurch wird die Netzhaut von der sie ernährenden Unterlage abgehoben. Bei der feuchten AMD gibt es seit einigen Jahren mit der Medikamentengabe ins Auge hinein eine wirksame Behandlungsmöglichkeit. Doch auch hier gilt, dass die Behandlung möglichst früh einsetzen sollte, damit das Sehvermögen gar nicht erst geschädigt wird. Auch die diabetische Netzhauterkrankung kann der Augenarzt mit dem Laser behandeln, lange bevor der Patient selbst etwas davon bemerkt. Seit einiger Zeit nimmt vor allem die Zahl der Typ-2-Diabetiker stark zu, bei denen die Krankheit oft schon lange besteht und unbemerkt bleibt. Nicht selten ist es der Augenarzt, der beim Blick auf die geschädigten Netzhautgefäße als erster die Diagnose "Diabetes" stellt.
Mit der Früherkennungsuntersuchung beim Augenarzt lassen sich so gleich mehrere das Sehvermögen potenziell gefährdende Krankheiten frühzeitig erkennen - und das Beispiel Diabetes zeigt, dass der Augenarzt wertvolle Hinweise auf den allgemeinen Gesundheitzustand des Patienten geben kann.
Im Untersuchungszimmer schaut sich der Augenarzt die Augen von Maria P. durch die Spaltlampe genau an: Die Netzhaut und der Sehnervenkopf sind schon mal unauffällig, keine Anzeichen für einen Sehnervenschaden, für AMD-typische Ablagerungen oder für Gefäßschäden, wie sie für den Diabetes charakteristisch sind. Dann gibt er einen Tropfen eines Anästhetikums auf die Hornhaut, damit die Messung des Augeninnendrucks schmerzfrei erfolgen kann. Bei der Untersuchung wird gemessen, welche Kraft notwenig ist, um eine definierte Fläche der Hornhaut abzuflachen; das Ergebnis erlaubt einen Rückschluss auf den Augeninnendruck. Und auch der ist bei Maria P. normal. Sie ist froh, dass mit ihren Augen alles in Ordnung ist. Und sie wird den Rat befolgen, die Untersuchung in ein bis zwei Jahren wiederholen zu lassen.
Prof. Dr. med. Günter K. Krieglstein
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