Früher konnten wir Augenärzte beim Übergang einer trockenen in eine feuchte Makuladegeneration (AMD) nur die Diagnose stellen, den Patienten über die schlechte Prognose informieren und soziale Hilfen sowie Lupen oder andere Sehbehindertenhilfsmittel anbieten. Während dafür meist ein oder zwei Untersuchungstermine ausreichten, ergibt sich heute ein erheblich größerer Aufwand: Die Patienten brauchen viele Spritzen, nur bei wenigen reichen die initialen drei Spritzen. Nach jeder Spritze sind augenärztliche Kontrollen erforderlich, danach monatlich zumindest im ersten halben Jahr nach der letzten Injektion und danach auch weitere regelmäßige Kontrolluntersuchungen. Da jetzt überhaupt eine Therapie der feuchten AMD möglich ist und diese umso erfolgreicher ist, je eher man das Einwachsen der Gefäßneubildungen stoppt, muss bei vielen Patienten mit Sehminderung oder bestimmten Sehstörungen intensiv abgeklärt werden, ob bei ihnen der Beginn einer feuchten AMD vorliegt. Diese vielen Untersuchungen, die noch vor wenigen Jahren nicht erforderlich waren, werden von den deutschen Augenärzten durchgeführt, ohne dass es bisher zu einer Honorierung über die Medikamenteneingabe hinaus gekommen wäre.
Auch neue Indikationen für die Medikamentengabe in den Glaskörper, wie zum Beispiel diabetesbedingte Augenveränderungen oder Thrombosen der Netzhaut, werden weitere Untersuchungen der Patienten zur Abklärung, ob und welche Therapie geeignet ist, nötig machen. Eine Zunahme der intravitrealen Eingaben der Medikamente und weitere Nachuntersuchungen sind zu erwarten, deren Finanzierung bisher noch weitgehend unklar ist. Von den gesetzlichen Krankenkassen ist zu fordern, dass alle medizinisch sinnvollen Therapien bezahlt werden, einschließlich aller begleitend notwendigen Untersuchungen. Man kann uns nicht vorhalten, dass, zum Beispiel Beratungen, Netzhautuntersuchungen, Fluoreszenzangiografien, schon immer mit dem Geld der Kassen an die KV bezahlt wurden. Wenn sich diese Leistungen wegen medizinischer Innovationen erheblich ausweiten, muss es dafür zusätzliches Honorar für die Augenärzte geben.
Neue diagnostische Leistungen können dann nur in den Katalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen werden, wenn der gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) dies erlaubt hat (Erlaubnisvorbehalt). Bei dieser Entscheidung wird der G-BA beraten vom IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen). Für neue Leistungen wird gefordert, dass ein Nachweis über hochkarätige Studien darüber vorliegt, dass die Therapie oder das diagnostische Verfahren zu einer Verbesserung bei für die Patienten wichtigen Messwerten führt, zum Beispiel zur Verminderung der Erblindungsrate oder zu besserem Visus. Derartige Studien müssten über Jahre dauern und sind sehr teuer. Dies ist alleine schon aus Kostengründen nur der Pharmaindustrie möglich, aber nicht der Geräteindustrie. Deswegen sind die Hürden des IQWiG und damit des G-BA für neue diagnostische Leistungen so hoch, dass neuartige diagnostische Verfahren sie nicht erfüllen können. Der Augenarzt befindet sich deswegen in dem Dilemma, diese Leistung dem Patienten entweder als Selbstzahlerleistung anbieten oder sie ihm vorenthalten zu müssen. Die Augenheilkunde ist ein sehr innovatives Fach mit vielen neuen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten, sodass in der Augenheilkunde besonders viele medizinisch erforderliche Leistungen nicht von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden. Am Beispiel des OCT bei der feuchten AMD kann man sehen, wie problematisch dies ist. Sinnvoll sind bei der AMD nach erfolgter Medikamenteneingabe monatliche Kontrollen nicht nur der Sehschärfe und des Netzhautbefunds sondern eigentlich unverzichtbar auch die Netzhautvermessung mit einem OCT. Diese jeden Monat erforderliche, circa 105 € teure Diagnostik können nur wenige Patienten bezahlen. Der Arzt steht damit vor dem Dilemma, diese Untersuchung den meisten seiner Patienten nicht anbieten zu können.
Ein noch größerer Skandal ist allerdings, dass noch nicht einmal für die augenärztliche Grundversorgung der Patienten genügend Geld zur Verfügung steht. Das Honorar, das der Augenarzt für die Grundversorgung seiner Patienten erhält, ist in vielen Bundesländern deutlich niedriger als noch vor zehn Jahren. Von den wachsenden Zahlungen der gesetzlichen Krankenkassen an die niedergelassenen Ärzte der letzten Jahre ist in der nichtoperativen Augenheilkunde nichts angekommen. Pro Patient und Quartal erhalten die Augenärzte für die nichtoperative Versorgung so wenig, dass davon gerade eben die Praxiskosten bezahlt werden können. Das sogenannte Regelleistungsvolumen, mit dem das an den Arzt ausgezahlte Budget pro Patient beschrieben wird, ist so niedrig bemessen, dass damit nur die Grundpauschale abgedeckt ist. Ein Großteil der weiteren Untersuchungen, die bei vielen Patienten unbedingt erforderlich sind, wird nicht bezahlt. Für viele Augenärzte ist diese Entwicklung ruinös. Wenn jetzt Augenärzte vor dem Dilemma stehen, im Rahmen der sowieso schon defizitären Kassenversorgung weitere teure Leistungen ohne adäquate Aufstockung der augenärztlichen Honorare durchführen zu sollen, ist das unerträglich und schlicht unmöglich. Wir brauchen trotz aller Sparzwänge der Gesetzlichen Krankenversicherung zunächst eine deutliche Aufstockung der Honorare für die augenärztliche Grundversorgung, damit zumindest die Basisversorgung in der Fläche gewährleistet ist, und dann zusätzlich eine Finanzierung der diagnostischen Innovationen in der Augenheilkunde, die ein Großteil der Patienten nicht bezahlen kann.
(Es gilt das gesprochene Wort!)
Berlin, Juni 2010
Professor Dr. med. Bernd Bertram,
Vorsitzender des Berufsverbands der Augenärzte Deutschlands (BVA), Düsseldorf
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