Pressemitteilung
Medizin/Gesundheit/Augenheiunde

AAD Pressekonferenz 2009

Kampik, Bertram:

Meilensteine der Augenheilkunde

Medizinische Erfolge im Spannungsfeld zwischen notwendiger und optimaler Versorgung

Die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) und der Berufsverband der Augenärzte Deutschlands (BVA) haben der 10. Augenärztlichen Akademie Deutschland (AAD) bewusst dieses Motto vorangestellt: „Im Spannungsfeld zwischen notwendiger und optimaler Versorgung.“ Denn die Kluft zwischen dem, was Augenärzte ihren Patienten an medizinischer Versorgung anbieten können, und dem, was gesundheitspolitisch als notwendig definiert wird, wird immer breiter.
Nachdem die niedergelassenen Augenärzte in Deutschland sich über Jahrzehnte hinweg in Wiesbaden und Essen zu traditionellen jährlichen Fortbildungsveranstaltungen trafen, hoben DOG und BVA vor zehn Jahren die AAD als gemeinsamen Fortbildungskongress aus der Taufe. Ein Blick auf die Meilensteine in der Augenheilkunde – sowohl aus medizinischer wie aus gesundheitspolitischer Sicht – zeigt, wie sich das „Spannungsfeld zwischen notwendiger und optimaler Versorgung“ in den vergangenen zehn Jahren entwickelt hat. Ein Blick in die Zukunft lässt erwarten, dass diese Entwicklung noch lange nicht zu Ende ist.

Erfolge der vergangenen Jahre: Kataraktchirurgie – mehr als nur klare Sicht

Die moderne Kataraktchirurgie ist eine der großen Erfolgsgeschichten der Medizin: Bei einem kurzen, heute meist ambulant ausgeführten Eingriff wird die eingetrübte körpereigene Linse gegen ein Implantat ausgetauscht und so das Sehvermögen wieder hergestellt. Die Operation des Grauen Stars ist mit mehr als 600.000 Fällen pro Jahr die häufigste Operation in Deutschland. Schon vor zehn Jahren war die Operationstechnik gut ausgereift, und doch hat es seither deutliche Fortschritte gegeben: Heute geht es nicht mehr alleine darum, die trübe Augenlinse durch ein klares Implantat zu ersetzen. Auch eine zuvor bestehende Fehlsichtigkeit kann bei der Operation mit der Wahl der optimalen Intraokularlinse noch zielgenauer behoben werden. Und moderne Multifokallinsen ermöglichen unter bestimmten Voraussetzungen ein gutes Sehvermögen sowohl in der Nähe als auch in der Ferne. An Linsen, die auch im Alter ein Sehen wie in der Jugend möglich machen, wird weiterhin intensiv gearbeitet. Damit ermöglicht die Kataraktchirurgie den Patienten bis ins hohe Alter ein gutes Sehvermögen, das wesentlich zur Lebensqualität beiträgt. Die Kosten für den Einsatz einer Monofokallinse trägt die gesetzliche Krankenkasse. Sieht der Patient hingegen die Multifokallinse als die für ihn optimale Lösung an, muss er die Kosten für Linse und Operation selbst tragen. Mit dieser Linse wird dann in vielen Situationen des täglichen Lebens weder zum Nahsehen noch zum Weitsehen eine Brille benötigt.

Das Sachleistungsprinzip

In der gesetzlichen Krankenversicherung galt vor zehn Jahren das Sachleistungsprinzip – und in weiten Bereichen gilt es bis heute: Der Versicherte nimmt die Leistungen des Arztes in Anspruch, ohne dafür eine Rechnung zu erhalten. Das ist für den Patienten bequem, allerdings entstand in den vergangenen Jahrzehnten vielfach auch eine hohe Anspruchshaltung: Ohne Rücksicht auf die Kosten, die den Patienten ja in der Regel auch nicht bewusst waren, wurde eine optimale Behandlung erwartet und auch gefordert. Auf den Kostenanstieg im Gesundheitssystem folgte Gesundheitsreform um Gesundheitsreform, die Schritt für Schritt den Druck auf die Ärzte erhöhte. Der Arzt bekommt nur gewisse Budgets zur Verfügung gestellt sowohl für seine eigenen Leistungen als auch für Medikamente. Wenn er mehr Leistungen erbringt, als ihm mit diesem Budget zugeteilt wurden, erhält er kein oder nur ein lächerlich geringes Honorar. Wenn die Kosten für die Medikamente, die er verordnet, eine gewisse Grenze überschreiten, erfolgt eine Honorarkürzung. Der Arzt muss nun entscheiden, welchem Patienten er bei viel zu kleinem Budget eine Untersuchung oder Behandlung zubilligt und wem er diese vorenthält, obwohl er sie eigentlich benötigt. Der Arzt soll also die hohen Erwartungen der Patienten zurückdrängen – das belastet die persönliche Beziehung zwischen Arzt und Patient.

Augenheilkunde heute: Sehnerven- und Netzhauterkrankungen erfolgreich erkennen und behandeln

Die Untersuchungsmethoden in der Augenheilkunde haben in jüngster Zeit große Fortschritte gemacht. Mit modernen bildgebenden Verfahren wie der Retinatomographie (HRT) oder der optischen Kohärenztomographie (OCT) lassen sich insbesondere Sehnerven- und Netzhauterkrankungen wie das Glaukom, die Altershabhängige Makuladegeneration (AMD) oder die diabetische Retinopathie – die wichtigsten Ursachen für Blindheit in Deutschland – schon sehr früh und genauer erkennen; lange bevor der Patient selbst Symptome bemerkt. Manche Aspekte der Krankheit lassen sich jetzt erst genau betrachten. Bei Folgeuntersuchungen wird dann der Krankheitsverlauf und der Behandlungserfolg mit den gewonnenen Messwerten genau kontrolliert. So ist eine individuell auf den Patienten abgestimmte, maßgeschneiderte Therapie möglich.
Die Injektion von Medikamenten in den Glaskörper und die Entwicklung neuer Wirkstoffe haben die Behandlung von Netzhauterkrankungen einen erheblichen Schritt voran gebracht. Vor zehn Jahren war die photodynamische Therapie (PDT) eine neue Option, um bei einigen Fällen der feuchten AMD das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen. Heute erreichen Augenärzte mit Antikörpern gegen den Wachstumsfaktor VEGF, die ins Auge gegeben werden, in den meisten Fällen einen Stillstand der Erkrankung und in nicht wenigen Fällen sogar wieder eine Verbesserung des Sehvermögens. Wie der Preis für diesen Fortschritt zu bezahlen ist, darüber hält der Streit an.
Gleichzeitig ist heute schon zu erwarten, dass neue Medikamente entwickelt werden, die direkt dorthin, wo sie wirken sollen – also ins Auge – gespritzt werden können. Sie werden auch die Behandlung der häufigen diabetischen Retinopathie und anderer Netzhauterkrankungen ohne aufwendige Operation möglich machen.

Gesundheitspolitik heute: Der Spagat zwischen „optimal“ und „notwendig“

Der Spagat zwischen „optimal“ und „notwendig“ findet in verschiedenen Bereichen statt. Schon seit mehr als zehn Jahren sind in der augenärztlichen Versorgung so gut wie keine neuen Leistungen mehr in den Katalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen worden – abgesehen von innovativen Medikamenten. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) und der Gemeinsame Bundesausschuss haben die Hürden für neue Leistungen so hoch angesetzt, dass neuartige diagnostische Verfahren sie nicht erfüllen können. Der Arzt befindet sich deswegen in dem Dilemma, diese Leistung dem Patienten entweder als Selbstzahlerleistung (Individuelle Gesundheitsleistung, IGeL) anzubieten oder sie ihm vorzuenthalten. Die Augenheilkunde ist ein sehr innovatives Fach mit vielen neuen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten, sodass hier besonders viele medizinisch erforderliche Leistungen nicht von den Kassen bezahlt werden.
Doch auch das Honorar, das der Augenarzt für die Grundversorgung seiner Patienten erhält, sinkt immer weiter. In vielen Bundesländern ist das Honorar für die nicht-operative Augenheilkunde heute deutlich niedriger als noch vor zehn Jahren. Noch im August 2008 lauteten die hoffnungsvollen Schlagzeilen: „Höhere Honorare für Ärzte“. Die Zahlen, die die Augenärzte dann im Dezember auf den Tisch bekamen, bedeuteten vielfach: „Niedrigeres Honorar“. Pro Patient und Quartal erhalten die Augenärzte für die nicht-operative Versorgung so wenig, dass davon gerade eben die Praxiskosten bezahlt werden können. Das so genannte Regelleistungsvolumen, mit dem das an den Arzt ausgezahlte Budget pro Patient beschrieben wird, ist so niedrig bemessen, dass damit nur die Grundpauschale abgedeckt ist. Ein Großteil der weiteren Abklärungen, die bei vielen Patienten erforderlich sind, wird nicht bezahlt. Für viele Augenärzte ist diese Entwicklung ruinös. Sie können ihre Praxen nur noch wirtschaftlich betreiben, weil sie über Privatpatienten und IGeL zusätzliche Einnahmen haben.
Gerade die sinnvollen IGeL-Angebote im Bereich der Vorsorgeuntersuchungen werden den Augenärzten aber nach wie vor als „Abzocke“ vorgeworfen. Keine Vorsorgeuntersuchung im Bereich der Augenheilkunde wird gesundheitspolitisch als „notwendig“ definiert und von den Krankenkassen bezahlt. Dabei ermöglicht die Früherkennung von Glaukom und AMD eine rechtzeitige Behandlung der Patienten und damit die Verhütung von Blindheit und wird deswegen von den Fachgesellschaften gefordert. Eine augenärztliche Vorsorgeuntersuchung bei Kindern stellt sicher, dass sich das Sehvermögen gut entwickeln kann und dass Sehschwächen gar nicht erst entstehen oder erfolgreich behandelt werden können. Das IQWiQ veröffentlichte im vergangenen Jahr einen skandalösen Bericht, der den Nutzen eines Sehscreenings für Kinder in Abrede stellte. Die Folge: auch diese sinnvolle augenärztliche Vorsorge, für die Kinder- und Augenärzte seit Jahren gemeinsam kämpfen, wird nach wie vor nicht als „notwendig“ angesehen und nicht von den Kassen bezahlt.

Visionen für die Zukunft: Netzhautchips und Gentherapie

Die Möglichkeiten der Augenärzte, Blindheit zu verhüten und gar zu heilen, sind noch lange nicht ausgereizt. Die Entwicklungen von Netzhautimplantaten schreitet voran. In Deutschland konnten mehrere Forschungsgruppen im vergangenen Jahr Erfolge vermelden – es ist möglich, aufgrund besonderer Netzhauterkrankungen erblindeten Menschen mit Hilfe der Netzhautchips Seheindrücke zu vermitteln. Bis die Implantate den Patienten zu einem verwertbaren Sehvermögen verhelfen, wird es allerdings noch einige Zeit dauern. Vor allem für Patienten, die an Retinitis pigmentosa, einer erblichen degenerativen Netzhauterkrankung leiden, stellt diese Entwicklung einen Hoffnungsschimmer dar.
Für positive Schlagzeilen sorgten im vergangenen Jahr auch erste Erfolge der Gentherapie: Mehreren Forschergruppen gelang es, Patienten, die an Leberscher congenitaler Amaurose leiden – einer ebenfalls erblich bedingten Netzhauterkrankung – erfolgreich zu behandeln. Sie spritzen Viren mit einer intakten Version des für die Krankheit verantwortlichen Gens direkt unter die Netzhaut. Diese Viren sollen die erkrankten Zellen im Netzhaut-Pigmentepithel mit der korrekten Erbinformation versorgen. Bei den Patienten gab es Hinweise auf eine Verbesserung der Sehfähigkeit, allerdings müssen diese Erfolge nun langfristig beobachtet und kontrolliert werden.

Versorgungsstrukturen der Zukunft: Medizinisches Versorgungszentrum statt Facharztpraxis?

Netzhautimplantate und Gentherapie sind zwei Beispiele dafür, dass die Forschung in der Augenheilkunde noch viel erwarten lässt und dass noch mehr Augenkrankheiten erfolgreich behandelt werden können. Wie und wo die Patienten in Deutschland zukünftig einen Augenarzt finden, das ist allerdings die Frage. Das wirtschaftliche Risiko, die eigene Augenarztpraxis freiberuflich zu führen, scheuen viele junge Kollegen wegen der unsicheren Aussichten.
Mancherorts hat es inzwischen schon der Bürgermeister zur Chefsache erklärt, einen Augenarzt für einen Ort zu gewinnen, manche Kassenärztliche Vereinigung legt Förderprogramme auf, um Augenärzte zur Niederlassung außerhalb von Großstädten zu bewegen. Von der Gesundheitspolitik gewollt sind Medizinische Versorgungszentren, möglichst an Krankenhäusern, in denen angestellte Ärzte arbeiten. Der wirtschaftliche Druck verstärkt sich auch in diesen Einrichtungen, die Gewinne erzielen müssen, die Kommerzialisierung im medizinischen Alltag wächst. In diesen Einrichtungen bestimmen nicht mehr, wie in den freiberuflich geführten Praxen, Augenärzte, was medizinisch erforderlich ist. Immer mehr legen Verwaltungen und Finanzfachleute fest, wie die Ärzte agieren müssen. Der Spagat zwischen „optimaler“ und „notwendiger“ Versorgung verschärft sich – vor allem zu Lasten der Patienten.

Prof. Dr. Anselm Kampik
Generalsekretär der DOG
(Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft)
Platenstraße 1
80336 München
Telefon (089) 55 05 76 80
Telefax (089) 55 05 76 811
generalsekretaer@dog.org
www.dog.org

Prof. Dr. Bernd Bertram
1. Vorsitzender des BVA
(Berufsverband der Augenärzte)
Tersteegenstraße 12
40474 Düsseldorf
Telefon (02 11) 4 30 37 00
Telefax (02 11) 4 30 37 20
bva@augeninfo.de
www.augeninfo.de


Abb. 1
Abb. 1:
Eine Intraokularlinse, die zusätzlich zur natürlichen Linse vor der Regenbogenhaut implantiert wird


Abb. 2
Abb. 2:
Medikamente, die direkt ins Auge gespritzt werden, bewahren viele Menschen vor der Erblindung.


Herausgeber:
Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e.V. (BVA)
als Geschäftsbesorger der AAD GbR
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