Die Augenheilkunde hat zu ihren bewährten konservativen Diagnoseverfahren und Therapien in diesem Jahrtausend völlig neue Dimensionen hinzugewonnen und sich - ohne ihre besonders persönliche Arzt-Patient-Beziehung einzubüßen - zur Hightech-Medizin entwickelt. Noch bis vor kurzem führten einige im höheren Alter häufig auftretende Augenkrankheiten unweigerlich zur Erblindung. Die gleichen Augenärzte, die ihnen vor wenigen Jahren noch machtlos gegenüberstanden, können heute ihren Patienten das Augenlicht bewahren. Es sind bahnbrechende Innovationen, die das möglich machen: auf dem Gebiet der Diagnose, der Behandlungsstrategien, der Medikamente. Allein in den letzten zwölf Monaten wurden EU-weit Medikamente zugelassen, die sowohl von ihrer Wirkung als auch von ihren Kosten jenseits aller bisherigen Grenzen der Augenheilkunde liegen.
Noch im Arzneiverordnungsreport 2004 lagen die Ausgaben für bis dahin von Augenärzten verordnete Ophthalmika bei 4,50 Euro pro Einwohner im Jahr und waren damit, bezogen auf die Gesamtkosten, verschwindend gering. Nach der aktuellen Ausgabe (2006) der vom Wido-Institut (AOK) herausgegebenen Auflistung stiegen die Kosten für Fertigarzneimittel insgesamt um weitere 15 Prozent, während die der verordneten Ophthalmika um 3,1 Prozent zurückgingen. Doch das war gestern. Mithilfe ganz neuer Medikamente, Diagnose- und Behandlungsmethoden sind die Augenärzte heute in der Lage, ihren Patienten in vielen bisher hoffnungslosen Fällen das Augenlicht zu bewahren und damit ihre Unabhängigkeit und Lebensqualität. Für alle: für den Bürger, den Staat, den Patienten, den Arzt sind das überaus erfreuliche Perspektiven, sollte man meinen. Aber es ist ein Novum in der Geschichte der Medizin und vielleicht ein deutsches Phänomen, dass anstatt den Erfolg zu feiern, seine Kosten beklagt werden: "Ja, wir können jetzt Erblindung verhindern, aber wer soll das bezahlen?"
Zwar stellt die Bundesregierung sicher, "dass auch in Zukunft alle Versicherten die notwendige Versorgung auf der Höhe des medizinischen Fortschritts zu bezahlbaren Preisen erhalten", demnach gehört aber die Behandlung, die bei altersabhängiger Makuladegeneration vor Erblindung bewahrt, nicht zur notwendigen Versorgung. Allein die Kosten für das zur Therapie erforderliche Medikament betragen bei einmaliger Anwendung zwischen 800,-- und 1.500,-- Euro. Dabei handelt es sich um Wirkstoffe, die in den Augapfel injiziert werden, und diese ärztliche Leistung ist wie die erforderliche Nachbehandlung in dem Betrag nicht einmal enthalten. Außerdem muss die Injektion in individuell zu ermittelnden Abständen über einen längeren Zeitraum erfolgen. Die zwingend notwendige Verlaufskontrolle während der Therapie erfordert wiederum Hightech-Diagnostik, die nicht oder nur teilweise im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherungen enthalten ist.
Die Budgetierung bzw. jetzt geltende Pseudo-Budgetierung im Fachbereich Augenheilkunde (6,40 Euro pro Patient und Quartal) ist von gestern, als die Augenärzte noch tatenlos zuschauen mussten, wie die zur "Altersblindheit" führende Makuladegeneration ihren schicksalhaften Verlauf nahm.
"Damit alles so bleibt, muss sich was ändern“
Diese Schlagzeile aus der 2,48 Millionen Euro teuren Anzeigen-Kampagne der Bundesregierung zur Aufklärung der Bevölkerung auf Kosten der Bevölkerung ist eine Binsenweisheit angesichts so erfreulicher Veränderungen wie Steigerung der Lebenserwartung und rasanter Fortschritt in der Medizin. Während sich die Große Koalition anstrengt, den Bürger glauben zu machen, sie könne "das Problem" durch Umverteilung lösen und jeder könne als Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung ohne Zuzahlung weiterhin am "medizinischen Fortschritt" teilhaben, weiß die Bevölkerung längst, dass die Erhaltung ihrer Gesundheit zwar aussichtsreicher aber auch teuer geworden ist und dass die Vorteile der Hightech-Medizin nicht in einem System aus dem vorigen Jahrtausend verfügbar sind. Aus der Zahnmedizin sind Patienten schon seit Jahren gewohnt, dass die GKV Leistungen, die über eine Mindestversorgung hinausgehen, nicht erstattet. Dem Patienten stehen aber alle Möglichkeiten durch Zuzahlung offen.
Diese Regelungen hat es auch in der Zahnheilkunde nicht immer gegeben, aber heute sind sie selbstverständlich. Unverständlich ist, dass dem gesetzlich versicherten Patienten auf anderen medizinischen Gebieten weiterhin die Kassenleistung vollständig verweigert wird, wenn er z. B. anstelle eines Generikums ein hochwertiges Medikament wünscht und die Differenz privat zuzahlen möchte. Einzige Erklärung: Damit soll der Schein aufrecht erhalten werden, dass "jedem Versicherten die notwendige Versorgung auf der Höhe des medizinischen Fortschritts zusteht und dass er sie auch bekommt. Die Erde ist eine Scheibe, die Renten sind sicher und es gibt keine Zweiklassen-Medizin.
Auch in der Augenheilkunde verweigert die Gesundheitspolitik den Kassenpatienten die freie Wahl, so zum Beispiel bei der Katarakt-Operation, bei der die durch den Grauen Star getrübte Augenlinse durch eine Intraokularlinse ersetzt wird. Diese künstlichen Augenlinsen wurden und werden von den verschiedenen Herstellern im Laufe der Zeit immer weiter verbessert. Die bisher erreichten Fortschritte sind beachtlich und die unterschiedlichen Linsenbeschaffenheiten bieten schon heute für jeden Patienten eine "maßgeschneiderte" Lösung. Aber die steht nach der zurzeit gültigen Regelung nicht jedem Patienten zu – es sei denn, er trägt nicht nur die Kosten für die für ihn bessere Linse sondern auch die der gesamten Katarakt-Operation, einer Operation, auf die jeder Versicherte aufgrund seiner jahrelang gezahlten Beiträge einen rechtlichen Anspruch hat. Der erlischt, wenn er sich für ein anderes Linsensystem entscheidet – wie z. B. multifokal – als das im Leistungskatalog der Kassen aufgeführte monofokale System. Mit dieser Regelung ist auch die Zukunft verbaut, weitere Fortschritte auf dem Gebiet der Intraokularlinsen werden den Mitgliedern gesetzlicher Krankenversicherungen vorenthalten.
Heute entscheidet die Politik für den Bürger, welche medizinische Behandlung für ihn "notwendig" ist, denn nach ihrem Willen soll er offenbar über andere, bessere Methoden gar nicht informiert werden. Für den Augenarzt stellt sich die Frage, wie sich das mit seiner Aufklärungspflicht gegenüber seinen Patienten vereinbaren lässt. Natürlich überhaupt nicht. Vor einer Operation ist er schon gesetzlich dazu verpflichtet, den Patienten über alle mit dem Eingriff verbundenen Vorteile und Risiken zu informieren. D. h., er wird ihm in diesem Fall die gesamte Palette der Möglichkeiten vorstellen, die zur Verfügung steht, um seine Sehleistung zu optimieren. Enthielte er sie ihm vor, wäre das Körperverletzung, zumal sich – anders als bei Brillenglas und Kontaktlinse – eine suboptimale Lösung bei einer ins Auge implantierten Linse nicht so ohne weiteres rückgängig machen lässt.
Unser altes Gesundheitswesen ist krank.
Es muss sich was ändern, damit es nicht so bleibt
Im Grunde genommen weiß jeder, dass die nicht enden wollende Debatte um die Reform im Gesundheitswesen zu keinem Ergebnis führt, weil das Problem ohne die freiwillige und durch freie Entscheidung getragene Beteiligung des Bürgers gar nicht mehr zu lösen ist. Und jeder weiß, dass alle Versuche zum Scheitern verurteilt sind, die durch krampfhaft erfundene neue Abgaben das alte System noch ein Weilchen länger dahinsiechen lassen sollen. Es läuft letztendlich ja doch darauf hinaus, dass jeder die Hauptverantwortung für seine Gesundheit selber trägt, also kann er auch verlangen, durch umfassende Information und Entscheidungsfreiheit Zugang zu allen Innovationen in der Diagnostik und Therapie zu haben.
Die Augenärzte versuchen grundsätzlich zu erreichen, dass fortschrittliche Diagnostik und Therapie Bestandteil des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenkassen werden. Wo die finanzielle Situation der Kassen das nicht erlaubt, muss der Patient über alle zur Verfügung stehenden Diagnose- und Behandlungsmethoden informiert werden, sodass er selber entscheiden kann, ob er ein Mehr an Sicherheit für sich in Anspruch nehmen will. Und wenn er das will, muss ihm die für ihn bestmögliche Versorgung offenstehen, ohne seinen Anspruch auf die Grundversorgung zu verlieren. Der mündige Patient entscheidet, was ihm seine Gesundheit wert ist, und er darf nicht dafür bestraft werden, dass er bereit ist, die Mehrkosten zu übernehmen. Jeder Bürger muss die Möglichkeit zum Upgrade jeder von ihm beanspruchten medizinischen Leistung haben durch Zahlung der Differenz zwischen "notwendiger" und "bestmöglicher" Versorgung.
Dr. Uwe Kraffel
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